Nach der Hölle links (German Edition)
war am Limit. Er musste sich auf die andere Seite drehen und Andreas den Rücken zukehren, um nicht doch nach ihm zu greifen. Er wollte ihn festhalten, die Finger in seine Hüfte schrauben, von dort unter ihn gleiten und über sein Gesäß tasten. Ihm über die Wange lecken, an seiner Nase nagen und ihn schließlich küssen. Darauf warten, dass seine Zuwendung akzeptiert wurde und Andreas anschließend vergessen lassen. Sascha wollte das Bett aus Zeit und Raum lösen, sodass es frei in einer eigenen Domäne schwebte – unberührt von äußeren Einflüssen. Nur ihre warme Haut aneinander, die Chance, sich ineinander zu verlieren und anschließend heilsamer Schlaf in Zweisamkeit.
Sascha knuffte das Kissen zurecht und schob die Nase hinein. Er konnte Andreas hinter sich fühlen, obwohl sie sich gar nicht berührten. So lange war es her, dass sie zusammen gewesen waren.
Trotzdem schrie es in ihm nach dem Altvertrauten zwischen ihnen. Und es gab eine Antwort. Dessen war er sich sicher. Andreas erlaubte ihm, hier zu sein. Er duldete ihn nicht nur in der Krise an seiner Seite, sondern auch in seinem Bett. Er musste ebenfalls spüren, dass sie sich nicht zur Gänze fremd geworden waren. Er musste .
Die Wasserzeichen vergangener Zeiten legten sich über Saschas Denken, während sein Körper Tribut forderte. Der Schlaf fiel hinterrücks über ihn her. Mit einem Satz sprang er ihn an und versetzte ihn innerhalb kürzester Zeit in den tiefen, samtenen Zustand vollkommener Erschöpfung.
Im Traum gab Andreas nach und näherte sich ihm. Atmete gegen seinen Hinterkopf, bevor er sich vorsichtig an ihn drängte. Sascha wollte sich ihm zuwenden, war jedoch gefesselt von der Behutsamkeit, mit der sich Andreas an ihn schmiegte; vermutlich, um ihn nicht zu wecken.
Sascha brauchte eine Weile, um zu begreifen, dass er nicht träumte und die Hand, die sich auf seinen Bauch legte und von dort ihren Weg zur Brust suchte, real war. Glauben konnte er es erst, als er über Andreas’ mild behaarten Unterarm tastete und die zur Faust geballten Finger unterhalb seines Schlüsselbeins mit der eigenen Hand umschlingen konnte.
Andreas spannte sich kurz an, bevor er unglaublich weich einen Teil seines Gewichts auf Saschas Rücken verlagerte. Er suchte die Nähe, presste das Gesicht gegen Saschas Wirbelsäule und rührte sich nicht mehr. Nicht viel später ließ sein gleichmäßiger Atem ahnen, dass er eingeschlafen war.
Die Stahltür zwischen ihnen hatte sich wieder geöffnet – und es war Andreas gewesen, der sie aufgestoßen hatte.
Trotz aller Müdigkeit dauerte es, bis Sascha wieder einschlafen konnte. Er musste erst seinen galoppierenden Herzschlag beruhigen. Das breite Lächeln versuchte er erst gar nicht einzudämmen. Immerhin hatte er einen guten Grund, wie ein Idiot zu grinsen.
Vorsichtig neigte er den Kopf und küsste Andreas’ Daumengelenk.
Kapitel 22
Er war von ihrer Hand gefesselt. Nicht von den Verbänden, nicht von den Gerätschaften um das Krankenbett, nicht von den Gerüchen, die drückend im Zimmer schwebten und sich wie ein mit Chloroform getränktes Tuch über Mund und Nase legten.
Nein, Andreas konnte den Blick nicht von der Hand seiner Mutter wenden. Vielleicht, weil es leichter war, ihre mageren Finger mit den geschwollenen Gelenken zu betrachten als ihr lebloses Gesicht auf dem unpersönlich weißen Kissen.
Man hatte ihr den Schmuck abgenommen. Ihren Ehering mit der schwarzen Perle in einer Fassung aus winzigen Brillanten. Den schmalen Streifen aus Weißgold, den Margarete seit dem Tod ihrer Mutter am Mittelfinger der linken Hand getragen hatte. Das gewundene Band aus Platin, das an ihren kleinen Finger neben den Ehering gehörte, als wäre es Teil ihres Körpers.
Jetzt waren die Ringe fort, lagen vielleicht im Nachttisch oder zu Hause im Safe. Dafür bemerkte Andreas Altersflecken auf ihrem Handrücken. Sie waren zahlreich, verteilten sich wie muntere Sommersprossen auf schlaffer Haut. Über den deutlich sichtbaren Adern wirkten sie wie Geschwüre.
Andreas musste schlucken, hob den Blick und senkte ihn, bevor er seiner Mutter ins Gesicht sah. Unsicher stand er neben der Halterung für den Tropf. Er wagte nicht, sich zu setzen, weder auf den wartenden Stuhl noch auf die Bettkante. Wenn er einmal saß, kam er vielleicht nicht wieder auf die Beine oder sein Kreislauf brach zusammen. Weit war er nicht davon entfernt.
Sein schlechtes Gewissen plagte ihn, als er die zerbrechliche Frau vor sich betrachtete.
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