Nach der Hölle links (German Edition)
Andreas’ Kopf vor sich ging. Zu gut erinnerte er sich an dessen Ausbruch am frühen Morgen. »Du denkst, dass sie von dir verlangen, dass du in die Firma einsteigst, oder?«
»Nein«, kam es unerwartet schnell zurück. Andreas drehte sich um und sah Sascha zum ersten Mal seit dessen Ankunft in die Augen. »Du wirst lachen. Mein Vater kapiert es ja nicht. Ich bezweifle, ob er je verstehen wird, dass ich nicht sein kann, was für mich geplant war. Aber mein Opa hat es geschnallt. Okay, er hat mich nie so unter Druck gesetzt. Aber er war immer derjenige, der so getan hat, als ob die Zeit das Problem erledigt. Nicht, weil ich Hilfe bekomme oder weil es sich auswächst, wie mein Vater immer meinte, sondern weil ich ein von Winterfeld bin und es undenkbar ist, dass ein von Winterfeld seine Schlachten nicht gewinnt.«
Andreas schnaubte. »Wenn du mich fragst, sind bei uns zu Hause verdammt viele Schlachten verloren worden. Es wurde nur alles hübsch unter den Teppich gekehrt. Wie dem auch sei: Mein Großvater steigt wieder in die Firma ein, um meine Mutter zu ersetzen. Ich bin froh, dass ich das Theater nicht live und in Farbe miterleben muss. Das kannst du mir glauben. Länger als drei Minuten gebe ich ihnen nicht. Dann gehen sie sich an die Kehle. Na egal. Hauptsache, ich bin aus der Nummer raus. Ich habe eh andere Probleme.«
Unwillkürlich hoben sich Saschas Mundwinkel, wenn auch nicht genug, um zu lächeln. Vielmehr ließ die Anspannung nach, die zuvor in seinen Gesichtsmuskeln vibriert hatte. An diesen Andreas Version 2.0 würde er sich gewöhnen müssen. Ein Andreas, dem mit wenig Aufwand sein Innenleben zu entlocken war.
Sascha fragte sich heimlich, ob seinem Ex-Freund bewusst war, wie sehr er sich verändert hatte. Die Gedanken waren sicherlich immer da gewesen; vergraben hinter den Ruinen dessen, was ein Selbstwertgefühl sein sollte. Der alte Andreas hätte nie gewagt, Sascha mit in seinen Augen kranken, unpassenden und egoistischen Überlegungen zu belästigen.
»Du zum Beispiel«, sagte Andreas brüsk. »Du bist ein Problem.«
Sascha fuhr zusammen, rieb unwillkürlich die Handflächen an seinen plötzlich mit Gänsehaut überzogenen Oberschenkeln.
»Was meinst du?« Es war eine rhetorische Frage, und sie wussten es beide. Andreas’ verschränkte Arme sprachen Bände. Sascha wurde flau im Magen.
»Ich bin dir dankbar, echt dankbar. Für alles, was du gestern und … heute Nacht für mich getan hast. Du hattest keinen Grund dazu und hast es trotzdem gemacht«, sagte Andreas. Es klang, als spiele ein Kassettenrekorder einen lang zuvor eingesprochenen Text schnell ab. »Aber ich kann dir nicht … ich meine … versteh mich nicht falsch. Dein Brief. Ich habe ihn gelesen. Und heute Morgen, da dachte ich, vielleicht …« Das Tonband verhedderte sich und ging zerrissen zu Boden. Andreas seufzte und griff sich mit beiden Händen seitlich in die Haare. »Wir können die Zeit nicht zurückdrehen, okay? Das hat nichts damit zu tun, dass ich sauer bin. Bin ich nicht mehr. Ich … ich wäre an deiner Stelle auch gegangen – und zwar eher als du. Aber ich kann das nicht mehr. Mit dir. Es ist zu lange her. Da ist nichts mehr.«
Sascha musste seine Lippen befeuchten, bevor er sprechen konnte. Sie fühlten sich taub und rissig an. Ihm war, als hätte er einen Tritt in den Magen bekommen. Gut, er hatte gepokert und verloren. Durchatmen. Er hatte Andreas deutlich gemacht, dass er ihn wollte und statt dessen Schweigen nach dem Brief zu akzeptieren, die erste Gelegenheit genutzt, um Andreas zur Seite zu springen. Um sich seinen Korb persönlich abzuholen.
Oh Himmel, tat das weh.
»Ich meine, wir kennen uns gar nicht mehr, oder? Ich bin auch gar nicht in der Lage … verstehst du, ich habe keinen Platz in meinem Leben. Ich kann nicht einmal an so etwas denken«, faselte Andreas.
Sascha senkte den Blick. Sein Andreas hatte nie geplappert. Lag sein Ex richtig und er nicht? Waren sie sich zu fremd geworden? Jagte er einem Echo hinterher? Man könnte es trotzdem versuchen und es darauf ankommen lassen. Aber dazu musste man bereit sein. Und Andreas wollte das Risiko nicht eingehen. Wollte ihn nicht.
Er zwang sich zur Ruhe. Harsch sagte er zu seinen Knien: »Mach es uns nicht so schwer. Das ist der Punkt, an dem du dich herzlich bedankst und mich bittest zu gehen, oder? Sag es einfach.«
Ein Rascheln, danach Schweigen. Ein überlauter Atemzug, dann die Antwort: »Das habe ich nicht gemeint. Okay, ja. Danke. Das schon.
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