Nach der Hölle links (German Edition)
zwang ihn, sämtliche Probleme heute zu lösen, und er war seinem Therapeuten dankbar, dass er ihn daran erinnert hatte.
»Ich warte es einfach ab, oder?«, fragte er träge und hieß das Gefühl der innerlichen Entspannung willkommen.
Köninger nickte zustimmend. »Genau. Sieh zu, wie viel du für deine Mutter tun kannst und willst. Ansonsten ruhe dich aus, sei gut zu dir und belohne dich für das, was du geschafft hast. Es war eine ganze Menge.«
Eine Viertelstunde später war Andreas auf dem Weg nach Hause. Gedankenverloren ging er zu Fuß, statt dem Therapieplan nachzugeben und den Bus zu bemühen. Sein Schädel brummte, und die frische Luft war eine Wohltat. Dass es eine Zeit gegeben hatte, in der dieser unschuldige Spaziergang ein Ding der Unmöglichkeit gewesen wäre, kam ihm nicht in den Sinn.
In Gedanken war er bei Sascha. Freute Andreas sich auf ihn? Oder war er nur erleichtert, heute Abend nicht allein sein zu müssen? Wollte er Sascha persönlich bei sich haben oder nur irgendeinen anderen Menschen in der Nähe wissen? Wünschte er sich, dass sie Freunde wurden? Für heute hatte Andreas keine Antworten mehr.
Dafür schlüpfte seine ungehorsame Fantasie zurück zum Morgen, als er mit dem Arm um Saschas Hüfte, mit der Nase an dessen Hals erwacht war. Ihre Finger waren verschränkt gewesen, und Saschas Daumen hatte Andreas’ Handrücken gestreichelt. Bevor die Ereignisse des Vortags ihm ihre unsichtbare Faust in den Magen rammten, hatte er sich wohlgefühlt. Geborgen.
Kapitel 23
»Noch einmal: Ich habe nichts davon gewusst. Und ich verstehe auch nicht, wo das Problem liegt.«
»Das Problem ist, dass das Leben in Hamburg ein Vermögen kostet. Abgesehen davon bin ich nicht glücklich damit, dass Katja allein in dieser großen Stadt wohnen will. Sie hätte doch auch nach Kassel gehen können.«
Die Luft in der U-Bahn schien zu kochen. Sie ließ sich nicht atmen, sondern nur dickflüssig in die Lungen schlürfen. Die Klimaanlage war ausgefallen, und die geöffneten Kippfenster zogen die Hitze des Asphalts an.
Sascha kam es vor, als presse sich ihm eine Hand vor Nase und Mund. Seine Sitznachbarin, eine verlebt wirkende Brünette mit Sonnenbrand, sah ihn zum wiederholten Mal stirnrunzelnd von der Seite an. Entschuldigend zog er eine Grimasse. Zu gern hätte er das Gespräch beendet, aber er war dankbar für den zerbrechlichen Frieden zwischen seiner Mutter und ihm. Er wollte ihn nicht gefährden, indem er das Telefonat unterbrach.
Gerade laut genug, um das Rumpeln der Bahn zu übertönen, sagte er: »Wenn es danach geht, ist keine größere Stadt geeignet. Auch Kassel nicht.«
»Aber dann hätte sie bei uns wohnen können«, klagte Karen Suhrkamp ihm ihr Leid. »Wirklich, du hättest ihr das ausreden sollen. Sie will doch nur nach Hamburg, weil du ihr immer davon vorschwärmst.«
Natürlich. Nun war er wieder schuld.
»Sie hat mir nichts davon gesagt«, wiederholte Sascha zunehmend gereizt. »Ich kann ihr nichts ausreden, von dem ich nichts weiß. Außerdem kann ich ihr schlecht etwas vormachen. Sie weiß, dass ich Hamburg liebe, und will herkommen, seitdem sie mit vierzehn im Sommer bei Tanja zu Besuch war. Gegen ihren Dickkopf kann niemand anreden.«
»Also hast du es doch gewusst«, trumpfte seine Mutter auf und weckte in Sascha den Wunsch, sein Handy zu erdrosseln.
»Ja, wie du meinst«, stöhnte er ergeben. »Hör mal, gibt es sonst etwas Neues? Ich komme gleich an meine Haltestelle.«
Gab es nicht. Als sie sich verabschiedeten, zog es hinter Saschas Schläfen und er fragte sich, ob allein die Hitze dafür verantwortlich war.
Er war froh, die Bahn verlassen zu können. Die angestaute Wärme des Tages flimmerte über der Fahrbahn, auf der sich träge die Autos schoben. Ein Fahrradfahrer kam Sascha zu nah. Er musste beiseite springen, kam sich dabei unbeholfen und schwerfällig vor.
Die vergangenen zwei Tage und die Nacht dazwischen lagen wie Findlinge auf seinen Schultern. Er bereute nichts. Nur, dass er sich selbst und Andreas gegenüber nicht gnädig genug gewesen war, um die heutigen Vorlesungen zu schwänzen. Dafür war es ein widerlich angenehmes Gefühl, zu ihm zurückzukehren.
Ja, widerlich. Nicht, weil Sascha sich schämte. Das hatte er überwunden, als er sich am Morgen in der Gefahr sah, von Andreas’ Arm um seine Brust zerdrückt zu werden. Es erschreckte ihn allerdings, wie selbstverständlich es sich anfühlte, an diesem Abend zu seinem Ex-Freund zu gehen. Zwei gemeinsame
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