Nach der Hölle links (German Edition)
Du kannst gehen, wenn du … willst. Willst du gehen? Ich könnte es verstehen.«
Eine Pause entstand, in der Sascha aufsah und das Bedürfnis verspürte, Andreas eins auf die Nase zu geben. Natürlich wollte er nicht gehen, zumindest nicht grundsätzlich. In diesem Augenblick wünschte er sich allerdings in eine finstere Höhle, damit er seine frisch geschlagene Wunde lecken konnte.
Andreas’ braune Augen waren kugelrund und wirkten getrieben, als er schnaufend – ja, er schnaufte wirklich – sagte: »Es hält uns niemand davon ab, Freunde zu sein, oder?«
Bei einem Film würde man die Nase rümpfen, wenn die getrennten Protagonisten über Freundschaft reden. Jeder weiß, dass das nicht funktioniert, dachte Sascha enttäuscht. Ein sauberer Schnitt war besser für alle Beteiligten, auch wenn er mehr als drei Jahre zu spät kam.
Unverwandt sah Sascha Andreas ins Gesicht, nahm unterschwellig den Bartschatten am Kinn wahr, die sorgenvoll gekrausten Brauen, die Lippen, die so fest aufeinanderlagen, dass man sie aufstemmen wollte, bevor sie zerdrückt wurden.
Zu gern hätte er gewusst, was Andreas vorhatte, und ob er sich Hoffnungen machen durfte. Immerhin waren sie schon einmal Freunde gewesen, bevor sie zusammenkamen.
»Ist deine Freundschaft ein Trostpflaster?«, wollte Sascha fragen. »Etwas, das du mir anbietest, damit die Abfuhr nicht zu hart ist?
Aus Angst vor der Antwort schwieg er. Mit einem Mal drängte sich Müdigkeit gewaltsam in sein Bewusstsein. Sascha kam es vor, als hätte man ihm alle Energie entzogen. Der Wunsch, heute Nacht wieder neben Andreas schlafen zu dürfen, zerrieselte zu Staub. Er war überrascht, wie schwer ihn das Platzen dieser Vorstellung traf. Auf einer gut verborgenen Ebene war er sicher gewesen, hatte nicht glauben wollen, dass Andreas ihn wegschickte. Und sei es nur, weil es ihm zu schlecht ging, um allein zu sein.
»Nein«, sagte Sascha schließlich. »Es spricht nichts dagegen, Freunde zu sein.«
Er konnte sich ausrechnen, dass Andreas nach wie vor kein allzu geselliger Mensch war und Freunde brauchen konnte. Es war vermutlich die bessere, vernünftigere Entscheidung, keinen alten Spinat aufzuwärmen.
Dennoch, seine Antwort gab Sascha aus dem Bauch heraus; nicht mit dem Verstand, der ihn erinnerte, dass er sich einer elenden Quälerei auslieferte, wenn er Andreas als etwas anderes als seinen Partner in sein Leben ließ.
»Fein, dann können wir ja essen. Oder hast du keinen Hunger?«
Sascha durfte miterleben, wie Andreas sich in Windeseile vom nervösen Jungen in einen von Aktionismus überwältigten Gastgeber verwandelte. Überrascht beobachtete er, wie Andreas in die Küche stürmte, hörte ihn von dort aus rufen: »Was willst du trinken?«
Sascha war versucht, sich ungläubig in den Arm zu kneifen. Die Realität schien sich um ihn zu drehen und chaotisch Eindrücke und Gefühle in sein Universum zu spucken. Ihm war kalt. Andreas wollte nicht mit ihm zusammen sein. Er schämte sich für seinen Brief und die übereilten Hoffnungen. Dann wiederum wurde ihm warm angesichts der Tatsache, dass er als Freund und Gast erwünscht war.
»Egal«, würgte Sascha hervor. Er war dankbar, für den Moment allein zu sein. Ein Teil von ihm wollte verschwinden. Eine unschuldige Laterne treten und sich bewusst machen, dass nichts Anderes zu erwarten gewesen war.
Mehr als das wollte er jedoch bleiben und zeigen, dass er auch ohne Privilegien für Andreas da war. Wobei, war die Bereitschaft, sich bei ihrer Vorgeschichte auf eine Freundschaft einzulassen, nicht bereits ein Privileg?
Sascha lehnte sich zurück und versuchte, dankbar zu sein.
Sie aßen Andreas zufolge Backofenallerlei. Er hatte mehrere Tüten Gefrierkost geschlachtet und daraus einen gemischten Teller fettigsten Finger Foods zusammengestellt.
Es gab Chicken Wings, Cevapcici, Kartoffelspalten und handtellergroße Minipizzen. Dazu servierte er Sour Cream und verschiedene Grillsoßen, Bier und Cola.
Es war keine französische Küche und ein Attentat auf Hüften und Cholesterinspiegel gleichermaßen, aber Sascha schmeckte es. Angesichts der zubereiteten Mengen musste Andreas fest davon ausgegangen sein, dass er blieb. Sein anfängliches Gefühl, keinen Hunger zu haben, verflog schnell, als die erste Kartoffelspalte durch die Speiseröhre rutschte.
Während des Essens sprachen sie kaum, sodass Zeit war, nachzudenken. Freunde. Was hieß es, mit Andreas befreundet zu sein? Es fühlte sich fremd und nach einem
Weitere Kostenlose Bücher