Nach der Hölle links (German Edition)
Lippenbekenntnis an.
Über seinen Teller hinweg beobachtete Sascha den Mann, der ihm jahrelang schlaflose Nächte bereitet hatte. Freunde. War es das, was er wollte? Lieber ein bisschen Andreas statt gar nichts von ihm zu haben?
»Was studierst du eigentlich?«
Andreas malte mit einem abgenagten Hühnerbein Zeichen in die Soßenreste auf seinem Teller. Seine Finger bebten. Schlagartig bemerkte Sascha die Anspannung, die von seinem Gegenüber ausging. Es war für sie beide nicht leicht, realisierte er, und zu schweigen, würde es nur schwerer machen.
Wieder verbot er sich zu auszusprechen, was wirklich in ihm vorging. Er wollte sich nicht lächerlich machen, indem er sagte: »Lass uns noch einmal darüber reden. Lass uns diese Barriere zwischen uns loswerden. Warum habe ich keinen Platz in deinem Leben? Ist da wirklich nichts mehr? Hast du mich nicht vermisst? Gibt es einen anderen? Warum hast du dich gestern zu mir gelegt, wenn da nichts mehr übrig ist? Warum hast du mich festgehalten?«
Stattdessen blieb er beim Thema, lächelte verlegen und antwortete: »Psychologie.«
Der Knochen fiel Andreas aus der Hand und landete mit einem fettigen Flopp auf der Tischplatte.
»Psychologie?«, wiederholte er ungläubig, geradezu verschreckt. »Wieso das denn ausgerechnet? Ich meine, du hast nie etwas davon gesagt …«
Weil die letzten Monate zwischen uns so stressig waren, dass wir zu nichts gekommen sind, dachte Sascha traurig. Er hätte damals gern mit Andreas über seine Zukunftsideen gesprochen, aber das Chaos war zu allumfassend gewesen, und er hatte nicht gewagt, seinen Freund mit Studienüberlegungen zu belasten. Am Ende hatte er es wohl auch nicht mehr gewollt.
»Gehöre ich jetzt zum Feind?«, grinste Sascha schwach. Dass viele sein Studienfach misstrauisch beäugten, war ihm bewusst. Und dass Andreas, der zweifelsohne viel von seinen Kollegen gepiesackt worden war, misstrauisch war, konnte er bestens verstehen. Ab einem gewissen Punkt reagierte man allergisch auf alles, was mit »Psycho« begann.
»Nein … nein, ich bin nur … überrascht. Aber es erklärt, was du gestern Nacht … Egal. Wie bist du denn darauf gekommen?«, wollte Andreas nervös wissen.
»Ich habe schon mit dem Gedanken gespielt, seit ich in Hamburg bin«, erklärte Sascha. »Die Sache mit meinen Eltern, du erinnerst dich?« Andreas nickte. »Ich dachte, es wäre eine gute Sache, in dem Bereich zu arbeiten. Welche Richtung es genau sein soll, weiß ich noch nicht. Ich bin eigentlich darauf gekommen, weil es mir damals ziemlich schlecht ging und ich mit Tanja, die mir den Rücken gestärkt hat, noch Glück hatte. Ich habe mich gefragt, was aus den schwulen Jungs wird, die niemanden haben und vielleicht noch jünger sind, wenn herauskommt, an welchem Ufer sie stehen. Wo sie dann hingehen.«
Dass Andreas’ Krankheit und die Unfähigkeit zu verstehen, was in dessen Kopf vorging, Sascha in seinem Beschluss bestärkt hatten, musste er ihm hier und heute nicht verraten. Vielleicht ahnte er es sowieso.
»Du warst immer gut darin, es zu verstecken.«
Verwundert runzelte Sascha die Stirn. »Was zu verstecken? Meine Pläne?«
»Nein, dass es dir nicht gut ging. Ich dachte immer, dass du über den Dingen stehst. Bis Weihnachten jedenfalls.«
Sie schwiegen. Sascha kam es vor, als würde ein innerer Aktenschrank aufplatzen. Längst vergangene Bilder kamen zum Vorschein. Er erinnerte sich an die Schwäche und den Schmerz, den er empfunden hatte. Daran, dass sie sich nachts flüsternd in den Armen gelegen hatten und er überglücklich gewesen war, Andreas zu haben und zu ihm flüchten zu können. Sie waren in den Tagen zwischen den Jahren eng zusammengerückt; zu eng vielleicht. Er hatte es genossen. Doch gleichzeitig hatte es ihm Angst gemacht. Das Karussell hatte sich schneller gedreht, als er verkraften konnte. Das Schlimmste war, dass er alles gegeben hätte, um diese Nähe sofort zu reproduzieren.
»Ich gehe mir mal die Hände waschen«, murmelte er und floh vor Andreas’ prüfendem Blick.
Er ließ sich Zeit, bändigte seine wirr zu Berge stehenden Haare und benutzte die Toilette; eher um Zeit zu gewinnen, als um sich zu erleichtern. Als Sascha aus dem Bad zurückkehrte, war der Tisch bis auf die Getränke abgeräumt. Andreas wischte sich die nassen Hände an den Hosenbeinen ab.
»Und jetzt?«, fragten sie gleichzeitig, als sie sich vor dem Couchtisch gegenüberstanden.
»Film?«
»DVD?«
Sascha musste lachen und nickte. Auch Andreas
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