Nach der Hölle links (German Edition)
plapperte Andreas verwirrt. »Der Punkt ist doch, dass ich das nicht kann. Gut, wenn er kein Interesse hat, dann haben wir kein Problem. Aber was mache ich, wenn er was von mir will? Ich kann das nicht. Ja, okay, ich würde ihn vermutlich nicht von der Bettkante schubsen. Normalerweise jedenfalls nicht. Wenn wir uns nicht schon kennen würden. Aber ich kann ihm nicht erlauben, mir wieder so nah zu kommen. Ich habe einfach nur panische Angst vor ihm. Und wenn er da ist, ist die Angst weg. Ich kann ihm nicht vertrauen. Ich glaube ihm ja mittlerweile. Ich glaube ihm, dass er es bereut und mich gesucht hat. Und ich glaube ihm, dass ich ihm nicht egal bin, denn kein normaler Mensch hätte sich gestern mit mir herumgeschlagen oder stundenlang dumm im Krankenhaus herum gesessen.«
Köninger drückte wohlwollende Zustimmung aus. »Ja, das sollte man ihm hoch anrechnen. Ich bin froh, dass du das tust.«
»Aber?« Andreas konnte nicht anders. Schon wieder liefen ihm die Tränen über die Wangen. Er wollte schlafen. Er konnte nicht mehr.
Lächelnd reichte Köninger ihm ein weiteres Taschentuch, bevor er freundlich sagte: »Du willst wie immer zu viel. Deine Mutter hatte gerade einen Unfall, und du erwartest von dir, dass du als guter Sohn an ihrer Seite stehst. Du verbietest dir den Gedanken an Körperlichkeit, weil du denkst, dass es unpassend ist. Dabei ist es nicht unüblich, in schwierigen Augenblicken auf diese Weise Ablenkung zu suchen. Dein Vater muss sich um den Konzern kümmern, und du bist nicht zufrieden, weil du ihm nicht helfen kannst. Du zerbrichst dir den Kopf darüber, dass du nicht im Tierheim arbeiten kannst. Dabei hat jeder Verständnis für deine Lage. Auch ein gesunder Mensch würde stark reagieren, wenn die eigene Mutter einen Unfall dieser Art erleidet. Für dich in deiner besonderen Situation ist das alles eine unglaubliche Herausforderung – und du meisterst sie sehr gut. Aber auch das reicht dir nicht. Und was Sascha angeht, scheint es nur Schwarz oder Weiß für dich zu geben.«
»Es gibt in diesem Fall aber wirklich nur Schwarz oder Weiß. Ein bisschen schwanger geht nicht. Entweder ich lasse mich auf ihn ein oder nicht. Und da ich ihn nicht wieder an mich heranlassen kann und will, muss ich ihm heute Abend sagen, dass ich ihm dankbar bin, aber dass er wieder abdampfen soll. Das kann ich doch nicht machen!«, rief Andreas aufgebracht, während er sein Taschentuch in winzige Fetzen riss.
»Ich würde schon sagen, dass es eine Grauzone gibt. Du weißt nicht, wie Sascha empfindet. Ich behaupte, du weißt nicht einmal, wie du selbst empfindest. Da ist noch viel Enttäuschung in dir, die sich nicht ignorieren lässt. Ich stimme dir insofern zu: Niemand weiß, ob eine ernsthafte Beziehung zwischen euch noch einmal eine Chance hätte. Aber zu einem erfüllten Leben gehört mehr als ein fester Partner. Vielleicht kannst du Sascha nie wieder genug vertrauen, um eine Liebesbeziehung mit ihm zu führen. Vielleicht stellt ihr sogar fest, dass die Jahre euch so sehr verändert haben, dass ihr kein Interesse an einem verbindlichen Miteinander habt. Aber das heißt nicht, dass ihr keine Freunde sein könnt. Und du brauchst dringend Freunde. Du brauchst ein soziales Umfeld, du brauchst Menschen, auf die du dich verlassen kannst. Leute, die dich motivieren und dir zeigen, dass sie mit dir zusammen unterwegs sein wollen. Sascha hat dir gestern und heute Nacht zur Seite gestanden. Er hat bewiesen, dass man sich auf ihn verlassen kann. Verdient er nicht eine Chance?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Andreas ehrlich. »Keine Ahnung, ob das möglich ist. Ich weiß gar nichts mehr. Nicht einmal, ob ich mit ihm befreundet sein will , und wenn ja, wie das aussehen soll.«
»Niemand zwingt dich, hier und heute eine Entscheidung zu fällen. Aber ich empfehle dir, die Tür nicht zuzuschlagen.«
»Möglich. Ich fühle mich immer noch beschissen. Wir reden über Sascha, und meine Mutter … ach, verdammt.«
Ausgelaugt lehnte Andreas sich vor und stützte das Kinn auf die gefalteten Hände. Ihm ging die Luft aus. Sein Kopf war leer, sein Herz auch. Er sehnte sich nach seiner Wohnung, und er wollte nicht allein sein. Vielleicht hatte er ein bisschen Hunger, aber da war er sich nicht sicher. Alles, was darüber hinausging, schien zu kompliziert, um sich damit auseinanderzusetzen. Wahrscheinlich hatte Köninger recht. Er wollte zu viel auf einmal und verstrickte sich in den Fäden, die er zu sortieren suchte. Niemand
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