Nach der Hölle links (German Edition)
Tage, und Saschas innerer Schweinehund war auf dem besten Weg, seine alten Routinen zu finden. Ihm Gedanken einzuspeisen wie »Erst einmal schön kalt duschen, dann mit Andreas auf der Couch herumtollen und glücklich sein, wenn er mich über Nacht bleiben lässt.«
Es konnte nicht so leicht sein. Sascha war sich darüber im Klaren. Aber das Gefühl war so vertraut – und das wiederum war gefährlich, wie er zu genau wusste.
»Nur keine zu hohen Erwartungen«, murmelte er in sich hinein. Seinem erhöhten Pulsschlag und den Händen, die nicht allein von der sommerlichen Hitze feucht waren, hatte er allerdings nichts entgegenzusetzen.
Als Sascha das liebevoll restaurierte Haus am Rande der Speicherstadt erreichte, gesellte sich eine neue Form von Nervosität zu dem steten Kribbeln in seinem Magen.
Er klingelte.
Wie es wohl Margarete von Winterfeld ergangen war? Er wünschte ihr, dass sie den Tag nach der Operation gut überstanden hatte. Noch mehr aber wünschte er Andreas, dass es seiner Mutter gut ging.
Sascha machte sich nichts vor: Er hing nicht genug an seiner ehemaligen Nachbarin, als dass ihr Schicksal ihm den Nachtschlaf geraubt hätte. Heimlich dachte er sogar, dass ihr ein Denkzettel vielleicht gar nicht schadete. Das mochte hässlich sein, aber manche Leute lernten nur dazu, wenn sie sich eine blutige Nase holten – und das war bei der Geschäftsfrau im wahrsten Sinne des Wortes der Fall.
Die Tür öffnete sich summend, und das Treppenhaus hieß ihn erleichternd kühl willkommen.
Sorgen machte Sascha nur der Gedanke, wie Andreas reagieren mochte, falls ihr etwas zustieß. Gleichzeitig beharrte der schwarze Zwilling in seiner Seele – dem er meistens Fesseln anlegte –, darauf, dass es günstig für ihn wäre, wenn Margarete einen langen, schweren Genesungsweg vor sich hatte. Andreas kam mit all dem Stress nicht allein zurecht, brauchte ihn gerade, und Sascha wollte ihm auf vermutlich ungesunde und bedürftige Weise nah sein.
Entsprechend kostete es Sascha einen halben Liter Herzblut und ein Dreiviertel seines Verstandes, Andreas nicht anzufallen, als er kurze Zeit später in dessen Stockwerk ankam. Er musste die Hände in die Hosentaschen schieben, um keine Dummheiten zu machen.
Andreas war ein sportlicher, hochgewachsener Mann, der allen psychischen Problemen zum Trotz körperlich fit war. Dennoch wirkte er an diesem Abend fragil und fadenscheinig; wie Papier, das man gegen eine starke Glühbirne hielt, damit man die einzelnen Fasern im Inneren erkennen konnte.
Schweigend bedeutete Andreas ihm, hereinzukommen. Sascha war froh darüber, er hatte eine andere Reaktion einkalkuliert. Sie hatten die Brücke von »ich will dich nicht sehen« zu »wir verbringen die Nacht im Arm des anderen« sehr schnell geschlagen. Dennoch fand Sascha innerlich reihenweise Andockplätze, Berührungspunkte, Vertrautheiten. Oder wollte er sie nur sehen, weil er so lange gewartet hatte?
Es roch nach Essen, würzig und fettig. Das Summen des Backofens war zu hören, als sie an der Küche vorbeigingen. Im Wohnzimmer angekommen murmelte Andreas: »Setz dich.« Er selbst ging steif zur offenen Terrassentür und wandte Sascha den Rücken zu. Anspannung ging von ihm aus, während er den Kopf gegen die Glasscheibe lehnte. Seine Hand ruhte auf dem Griff, als wolle er sich daran festhalten. Wenige Meter trennten sie, und doch schienen sie Kontinente voneinander entfernt.
Sascha wollte aufstehen und zu Andreas gehen, ihm das Kinn auf die Schulter legen oder irgendetwas tun, um die Situation für sie zu erleichtern. Aber er traute weder seiner Wahrnehmung noch seinem eigenen Nervenkostüm. Stattdessen begrüßte er das kühle Leder der Couch wie einen alten Freund und gestattete sich, dankbar für den angenehm temperierten Aufenthaltsort zu sein.
»Wie geht es ihr?«, fragte er Andreas’ Rücken, während er ein Bein hochzog. Ob es das falsche Signal setzte, wenn er sich die Schuhe auszog?
»Ganz gut, denke ich«, antwortete Andreas leise. »Sie war heute Nachmittag wach und hat mich erkannt. Aber sie ist ziemlich schwach.«
»Kein Wunder. Aber das ist doch bestimmt in Ordnung, oder? Ich meine, kann man etwas anderes erwarten?«
»Ich denke nicht bei ihrem schlechten Zustand. Mal sehen, was wird, wenn sie halbwegs wieder fit ist. Aber so wie in den letzten Jahren kann es wohl nicht weitergehen …«
Andreas’ Stimme verebbte, als hätte er zu viel gesagt oder wage es nicht, fortzufahren.
Sascha ahnte, was in
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