Nach der Hölle links (German Edition)
Schrauben nachgab und der Schreibtisch sich in seine Bestandteile auflöste. Eins der Seitenteile fiel Sascha auf den Fuß. »Verdammtes Scheißding, ich sollte dich aus dem Fenster schmeißen!«
Andreas hielt diese Lösung nicht für die schlechteste Option. Der Schreibtisch war steinalt. Überhaupt spiegelten Saschas Möbel sein Leben als Student im teuren Hamburg wider. Die wertvollsten Gegenstände waren die verstauten Bücher in ihren Kisten.
Was unter normalen Umständen ein kaum erwähnenswerter Umzugszwischenfall gewesen wäre, machte Andreas unerwartet das Leben schwer. Mühsam hielt er sich davon ab, wie eine besorgte Glucke auf Sascha zuzustürzen, der auf einem Bein stand und sich den Fuß rieb. Sein Rücken war ihm zugewandt, das Oberteil hochgerutscht. Andreas hatte eine gute Aussicht auf Saschas Hintern. Der Anblick verfehlte seine Wirkung nicht, was nicht zuletzt an den engen Cargo-Hosen lag, die sich fest um Saschas Gesäß spannten.
Andreas spürte, dass Gefahr im Vollzug war. Er räusperte sich unruhig. »Muss das Bett auch mit? Die Längsseiten bekommen wir nie ins Auto.«
»Ne, das gehört zur Zimmerausstattung. Bei Tanja habe ich ein eigenes«, antwortete Sascha grimmig und setzte vorsichtig den Fuß auf.
Der Hinweis auf das Bett bei Tanja half Andreas nicht, ruhiger zu werden. Er erinnerte ihn nur daran, dass er sich früher ausgemalt hatte, nachts heimlich zu Sascha ins Haus zu schleichen und ihn zu überraschen. Es war mehr als ein Traum gewesen; vielmehr ein Ziel, das er eines Tages erreichen wollte. Er hatte sich vorgestellt, wie Sascha ihn stumm in die Arme schloss und ihn für seinen Mut lobte. Es war ein Sieg gewesen, der Andreas fest vor Augen stand, bis ihre Beziehung den Bach herunterging und alle guten Vorsätze mit sich riss.
Ein heißer Schmerz fuhr durch Andreas’ Bauch. Er raste durch seine Eingeweide und infizierte sie mit Krämpfen. Augenblicklich wurde ihm schwindelig.
»Gut, dann sollten wir keine Probleme bekommen. Für die Regalbretter reicht es«, merkte er matt an und stemmte wahllos eine der Bücherkisten hoch. Fluchtartig verließ er die Wohnung.
Draußen angekommen setzte Andreas seine Last in den Kofferraum und lehnte sich gegen den Wagen. Er hatte Herzklopfen. Sein Mund war trocken, die Zunge ein nutzloses Stück Fleisch, das an seinem Gaumen klebte. Er atmete zu schnell. Die Panik kam. Er hörte ihren höhnisch sprunghaften Schritt in seinem Kopf.
»Du bist so ein verdammter Loser«, flüsterte er sich selbst zu. Er war der einzige Mann auf Gottes weiter Flur, der sich erst über den Anblick eines runden Hinterns freuen und in der nächsten Sekunde in Panik geraten konnte. Nur weil er sich daran erinnerte, wie es sich angefühlt hatte, als Sascha ihm das Herz brach.
Während Andreas am Auto lehnte und um seine Beherrschung kämpfte, wühlte er gekonnt in seinem Kopf. Jahre der psychischen Sezierung halfen ihm, dem richtigen Faden durch sein inneres Labyrinth zu folgen. Am Ende der wollenen Spur stand Sascha.
Andreas hatte Angst vor ihm. Er fürchtete weder physische Gewalt noch Grausamkeiten, sondern Sascha zu nah an sich heranzulassen. Es ging nicht um Schuldzuweisungen oder alte Rechnungen. Andreas konnte nur das Risiko nicht eingehen, sich erneut zu verlieben und einmal mehr in Sachen Zwischenmenschlichkeit zu scheitern. Das würde er nicht überstehen.
Seltsamerweise war es die Akzeptanz dieser Einsicht, die Andreas befreiter atmen ließ. Köninger hätte sich nicht darüber gewundert. Wie oft war ihm gesagt worden, dass es ihm besser ginge, wenn er sich gewisse Gefühle und Überlegungen zugestand, statt sie zu vergraben und in seinem Inneren Unheil anrichten zu lassen.
Okay, dann hast du eben Angst vor ihm, dachte er tapfer. Das ist ja der Grund, weshalb ihr nur Freunde seid und nie wieder mehr sein werdet. Nicht, weil Sascha eine schlechte Wahl ist, sondern weil du lieber allein bleibst, als noch einmal so tief zu fallen. Weil du ihm vielleicht deine linke Hand anvertrauen kannst, aber nicht dein verdrehtes Innenleben. Niemand würde damit zurechtkommen. Du kommst ja nicht einmal mir dir selbst klar.
Die Erkenntnis war für Andreas weit weniger bitter, als ein Außenstehender sich vorzustellen vermochte. Er war es gewohnt, nicht zu funktionieren. Er war beschädigte Ware, und daran konnte nichts und niemand etwas ändern. Ihm war bewusst, warum sich Menschen von ihm abwandten. Er verstand es auf die freundliche, gutmütige Art, mit der ein
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