Nach der Hölle links (German Edition)
Lenkrad. »Nein, du brauchst kein Kindermädchen, aber Leute, die ab und an ihren Kopf benutzen.« Schuldbewusst wandte er sich Andreas zu. Es war kein schöner Anblick zu verfolgen, wie er sich sein schlechtes Gewissen in die Unterlippe kaute. »Wie geht es dir jetzt? Kann ich etwas tun?«
Andreas’ zittriges Lächeln konnte nicht vermitteln, wie dankbar er war. Es war etwas Besonderes für ihn, wenn jemand nach seinen Wünschen und Bedürfnissen fragte. Gleichzeitig verabscheute er sich, weil er nicht in der Lage war, Sascha eine vernünftige Antwort zu geben.
Er konnte sehen, dass die Situation ihn mitnahm und er sich schuldig fühlte. Trotzdem wusste er nicht, wie er ihm entgegen kommen sollte.
Es war nicht Saschas Schuld gewesen. Kein Mann konnte einem anderen seine Entscheidungen abnehmen; allein schon deshalb nicht, weil der Betroffene sich dadurch minderwertig fühlte. Andreas hatte sich nach Normalität gesehnt und Sascha helfen wollen. Und nachgedacht hatten sie letztendlich beide nicht.
»Es tut mir leid«, sagte Andreas leise, statt Saschas Frage zu beantworten. »Jetzt hast du einen Wagen voller Plunder, und ich lasse dich hängen.«
»Der Kram wird nicht schlecht, wenn er ein bisschen langsamer ins Haus getragen wird«, gab Sascha ebenso leise zurück. »Andreas, ich würde gerne … kann ich … soll ich mit nach oben kommen?«
»Nein, wirklich nicht. Ich werde ein bisschen schlafen, denke ich.« Er wollte Sascha nicht unverblümt ins Gesicht sagen, dass er mit seinem Versagen allein sein musste. Und mit dem Gedanken, was Brain wohl sagen würde, wenn Sascha ohne ihn bei Tanja ankam. Die Panikattacke steckte ihm tief in den Knochen, aber nicht so tief wie das Gefühl, vom Dach eines Hochhauses auf den Boden der Tatsachen gekracht zu sein.
»Tu das …«, flüsterte Sascha unglücklich.
Andreas’ eigenen Worten zum Trotz stieg er nicht aus. Saschas halb betroffener, halb sorgenvoller Blick hielt ihn auf dem Sitz. Unausgesprochenes schwebte zwischen ihnen umher. Schlechte Erfahrungen fütterten Andreas mit einer frischen Portion Sorgen und Ängste.
Es war ihm nicht gelungen, seine Fortschritte und die hart erarbeitete Unabhängigkeit zu präsentieren. Stattdessen hatte er Sascha einmal mehr seine Krankheit vor Augen geführt – in all ihren schmutzigen Grautönen. Was, wenn Sascha nun das Interesse an ihm verlor? Dieses Mal für immer?
Dass Sascha ähnliche Überlegungen quälten, erahnte Andreas erst, als sich sein Gegenüber nervös an den Hals griff und begierig fragte: »Holen wir das mit dem Essen nach? Dieses Mal richtig? Ohne Umzug und in Ruhe? Oder … wir können auch einen Film schauen. Wie früher bei dir auf …«
Andreas ließ ihn gar nicht erst ausreden. Er war so erleichtert, dass Sascha nicht die Nase rümpfte und ihn abschrieb. Er rief: »Klar! Auf jeden Fall. Komm vorbei, wann immer du Lust hast. Oder ruf an. Egal.«
Sein sprudelnder Enthusiasmus hatte etwas Mitreißendes – und etwas Verzweifeltes. Sascha schien ersteres zu spüren und den zweiten Aspekt zumindest zu vermuten. Er schenkte Andreas ein Lächeln, das Gletscher schmelzen konnte, bevor er wisperte: »Okay, ich freu mich darauf. Und hey …« Zögernd streckte er die Hand aus und strich Andreas sacht über den Hals. »… auch wenn es nicht ganz geklappt hat. Ich hätte nie gedacht, dass ich dich eines Tages von der Arbeit abhole, wir zusammen Burger essen und du mir hinterher beim Umzug hilfst. Du hast keine Ahnung, wie stolz ich auf dich bin.«
Nach dieser Ansage hatte Andreas es eilig, den Wagen zu verlassen. Sonst hätte er Sascha geküsst.
Kapitel 26
»Musste Andreas los?«, fragte Brain atemlos, als Sascha vor dem Haus seiner Tante aus dem Wagen stieg.
Der alte Schulfreund war vor ihm eingetroffen und kämpfte mit dem Schloss seines Kofferraums. Die Karosserie des Autos ächzte kläglich. Eines Tages, fürchtete Sascha, würde Brains rostige Kiste unter dessen Händen in ihre Einzelteile zerfallen.
»Ja«, antwortete er knapp. Ein prüfendender Blick traf ihn, gefolgt von freundlichem Schweigen. Sascha war dankbar dafür.
Brain wusste seit Langem, an welcher Krankheit Andreas litt. Damals, als der von Winterfeld-Spross spurlos von der Bildfläche verschwand, hatte Sascha sich seinen Klassenkameraden zugewandt und neben Isa und Miriam auch in Brain einen verlässlichen Halt gefunden. In seiner Angst, Andreas könnte sich etwas angetan haben, hatte er ihnen reinen Wein eingeschenkt. Sie ließen es
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