Nach der Hölle links (German Edition)
angenommen und freundlich gefragt, ob es ihm nicht gut ginge. Er hatte sich geschämt, als die Tränen zu fließen begannen. Der Vater seines Schulkameraden hatte ihn nach Hause gebracht und Ivana gesagt, dass ihm übel geworden wäre und er bestimmt eine Grippe ausbrüte. Und Andreas ahnte, dass es eine Lüge war, denn sobald er in seinem Zimmer war, knurrte sein Magen vor Hunger. An diesem Tag hatte er zum letzten Mal eine fremde Wohnung betreten.
Das Erste, was Andreas auffiel, war der Eigengeruch. Es stank weder nach verfaultem Essen noch nach Alkohol oder ungeputztem Bad. Aber es war ein fremder Geruch, der sich ihm aufdringlich näherte und sich wie ein Tuch auf Mund und Nase zu legen schien.
Das packst du nicht, heulte es in Andreas auf. Das war eine verdammte Mistidee. Wem willst du eigentlich etwas beweisen?
Sascha wollte er etwas beweisen. Bar jeder Vernunft musste er ihm unbedingt zeigen, dass er erfolgreich und nicht mehr der verlorene Versager war, den Sascha damals verlassen hatte. Er wollte, dass sein Ex-Freund am Ende des Tages beeindruckt nickte und sich im Stillen dachte, dass Andreas stark geworden war.
Woher dieser Wunsch kam, war für Andreas kaum auszumachen. Sein nimmermüdes Unterbewusstsein verlangte nach Rache und Anerkennung zugleich. Es wollte, dass Sascha sich selbst in den Hintern biss, weil ihm bewusst wurde, was er verloren hatte. Gleichzeitig wünschte es, darauf hinweisen, dass Andreas nicht länger der dürrste Fisch im Karpfenteich und vielleicht sogar ein recht ordentlicher Fang war.
»Mein Zimmer. Oder mein Ex-Zimmer«, deutete Sascha auf eine geschlossene Tür im vorderen Teil des winzigen Flures.
Andreas nickte, warf ihm einen Blick von der Seite zu und fragte sich, wie unglücklich Sascha war, dass er ausziehen musste. Dummerweise kostete es ihn zu viel Kraft, seine Angst zu kontrollieren. Sonst hätte er gefragt, was eigentlich vorgefallen war. Dazu blieb ihnen hoffentlich später Zeit.
Bevor Sascha die Tür öffnete, wandte er sich Andreas zu und sah ihn ernst an. Seine Stirn war umwölkt, als er den Mund öffnete, doch kein Wort kam heraus. Stattdessen berührte er Andreas kurz am Arm. Sanft und ermutigend. Oder dankbar?
Schweigend drückte er die Klinke nach unten. Sie wurden bereits erwartet. Andreas machte einen Schritt zurück, als er die Gestalt bemerkte, die im Schneidersitz vor dem Bett saß und mit einer verkanteten Schraube kämpfte.
Er hatte gehofft, in Saschas Zimmer für die ersten Minuten seines Aufenthalts auf fremdem Terrain ein sicheres Refugium zu finden. Bis zu einem gewissen Punkt tat er es sogar, denn seine Nase ließ ihn wissen, dass Sascha immer noch dasselbe Deodorant wie früher benutzte. Der unaufdringliche Duft hing zwischen den Wänden fest; gepaart mit der Note, die unweigerlich an faule Nachmittage auf dem Bett erinnerte.
»Hey, Mann, da bist du ja. Du kommst spät«, begrüßte der Fremde Sascha freudig. Andreas’ Augen glitten über rabenschwarze, am Hinterkopf zu einem Rattenschwänzchen gebundene Haare, eine kleine, hagere Statur und Ohren, die genug Löcher schmückten, um als Küchensieb missbraucht zu werden.
»Und du bist früh. Wäre nicht nötig gewesen, dass du allein anfängst«, nickte Sascha.
Der andere zuckte die Achseln. »Umso schneller sind wir aus dem Saustall raus, oder? Obwohl, vielleicht sollten wir ein bisschen länger bleiben.« Er lächelte gefährlich. »Ich hätte größte Lust, Nils die Meinung zu geigen. Wie hat er es denn am Ende geschafft, dich rauszugraulen? Hat er Svenjas Bett mit seinen Tränchen unter Wasser gesetzt?«
Andreas, der nach wie vor im Flur stand und sich hinter Saschas Rücken und dem Türrahmen versteckte, spitzte die Ohren. Wer immer der Fremde war, er gehörte offensichtlich nicht zur WG.
»Nein, nicht ganz. Sagen wir, ich hatte die Schnauze voll von den kleinen Gemeinheiten und habe ihm gesagt, dass er von mir aus zur Hölle fahren kann. Erst dann kam Svenja ins Spiel. Er hat sich bei ihr ausgeweint. Die ganze Last der Welt auf seinen Schultern und so weiter, du kennst ihn. Tja, das Ende vom Lied ist, dass Svenja mir heute Morgen heulend gestanden hat, dass Nils eine Anzeige für mein Zimmer geschaltet hat«, erklärte Sascha in einem eigenartig gelassenen Tonfall, den Andreas nicht von ihm kannte.
»Was? Und das lässt du dir gefallen? Ich meine, ich sage dir seit Wochen, dass du hier ausziehen sollst. Aber er kann dich doch nicht einfach vor die Tür setzen«, begehrte der
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