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Nach der Hölle links (German Edition)

Nach der Hölle links (German Edition)

Titel: Nach der Hölle links (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raik Thorstad
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Querschnittsgelähmter eines Tages akzeptiert, dass es Hobbys gibt, denen er nicht nachgehen kann.
    Bewusst atmete Andreas aus, bevor seine Lippen unhörbar formten: »Gut, Junge. Du gehst jetzt da hoch. Du weißt, dass es dir schadet, wenn du schwierige Situationen vermeidest. Du wirst Bretter und Kisten tragen, und du wirst Sascha helfen. Du wirst nicht die Nerven verlieren, und du wirst dich gegen diese ganze Scheiße stellen, die dauernd in dir hochkocht. Und wenn du dafür morgen vor Erschöpfung nicht mehr kriechen kannst und vollkommen im Arsch bist, ist es das verdammt noch mal wert.«
    Hätte er seinen Worten eine Stimme gegönnt, wären sie als Kampfschrei aus ihm hervorgebrochen.
    Die Selbsthypnose zeigte Wirkung. Sie entsprach der Technik eines Marathonläufers, der für die letzten zwei Kilometer der Strecke jeden Funken Kraft aus Lungen und Muskeln beschwor. Geradezu wütend stapfte Andreas zurück zum Haus. Er konnte es schaffen. Er musste sich nur selbst besiegen.

    Tanjas kleines Auto füllte sich rasch. Als abgesehen von Fahrer- und Beifahrersitz jeder Winkel mit Büchern, Regalbrettern und Computerzubehör gefüllt war, machten sie sich daran, Brains rostigen Wagen zu beladen. Es war Andreas’ gutem Augenmaß zu verdanken, dass sie es schafften, Saschas Zimmer bis auf die letzte Reißzwecke auszuräumen. Zurück blieben Staub und die Art Schmutz, die bei Umzügen hinter den Möbeln auftaucht. Keiner kam auf die Idee, das Zimmer zu reinigen. Ihnen war klar, dass es dazugehörte, wenn man eine Wohnung verließ, aber sie sahen es nicht ein. Sollten Nils und Svenja sich gefälligst darum kümmern.
    Am Ende machten sie einen Rundgang durch die verwaiste Küche und das Bad. Sascha sammelte hier und da Kleinigkeiten ein, die ihm gehörten. Duschgel, ein paar bunte Tassen, Rasierzeug. Den Inhalt des Kühlschranks ließ er unangetastet und bemerkte, dass jede Verpflegung seiner Tante besser war als das, was er von hier mitnehmen konnte.
    Darüber hinaus war der Abschied von der WG ein schweigsames Unterfangen. Brain bemühte sich, die Stimmung mit lockeren, teils bösen Sprüchen aufzuheitern. Er scheiterte an Saschas verbissenem Gesicht und Andreas’ Unfähigkeit, sich zu entspannen. Schließlich gab er auf und beließ es dabei, seine beiden Kompagnons heimlich zu beobachten und sich seinen Teil zu denken.
    Andreas hätte gern etwas unternommen, um es für Sascha leichter zu machen. Er hatte mittlerweile begriffen, dass Brain und er nicht bei einem Umzug halfen. Sie vollzogen viel mehr einen Rauswurf, dem Streit und Ärger vorangegangen waren. Sascha war nicht glücklich mit der Situation und wirkte in sich gekehrt. Wäre Brain nicht um sie gewesen, hätte Andreas überlegt, ob er Sascha beiseite nehmen und zu den näheren Umständen befragen sollte.
    Sie brachen gemeinsam auf. Brain, dessen Wagen halb auf der Straße gestanden hatte, fuhr voraus. Andreas hatte es nicht eilig, ihm zu folgen, doch Sascha strebte so entschlossen dem Auto zu, dass ihm nichts anderes übrig blieb, als aufzuschließen.
    Kaum, dass die Türen hinten ihnen zugeknallt waren, legte Sascha den Kopf auf das Lenkrad. »Das war es dann wohl.«
    Einmal mehr machte er einen sehr abgespannten Eindruck, was Andreas wunderte. Fein, Ärger in einer WG war unangenehm, aber doch kein Weltuntergang.
    Ihm blieb keine Zeit, sein Mitgefühl zum Ausdruck zu bringen oder Sascha tröstend daran zu erinnern, dass er bei seiner Tante zweifelsfrei ein wunderbares Leben führen würde. Noch bevor er sich versah, murmelte Sascha neben ihm: »Dann fahren wir mal.«
    Mit dem Anlassen des Motors geschah etwas, das Andreas in Ermangelung einer besseren Beschreibung später als Szenenwechsel bezeichnete. Der erste Akt war beendet und ihm dämmerte, dass damit keinesfalls das Theaterstück zu Ende war.
    Auf rätselhafte Weise hatte Andreas geschafft zu verdrängen, was ihn erwartete, wenn das Zimmer erst leer war: Sie fuhren nach Hause. Sie kehrten zurück. Dorthin, wo alles begonnen hatte. In die Straße, die Nachbarschaft, die er seit Jahren mied. Denn selbst wenn ihm Tanjas Haus fremd war, stand daneben die Trutzburg seiner Eltern. Der Ort seiner finstersten Niederlagen, seine Folterkammer. Die herrschaftliche Villa, die ihn einst beschützt hatte, lehrte ihn inzwischen das Fürchten. Da war Angst, in den alten Sog zu geraten, durch die Tür zu treten und den Rückweg nicht zu finden. Eingefangen zu werden.
    Dieses Mal waren seine Kraftreserven

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