Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nach der Hölle links (German Edition)

Nach der Hölle links (German Edition)

Titel: Nach der Hölle links (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raik Thorstad
Vom Netzwerk:
beenden und zum anstrengenden Teil des Tages überzugehen: Andreas schlang plötzlich, als wolle er Sascha Konkurrenz machen.

Kapitel 25
    Saschas WG befand sich im Randgebiet von St. Georg. Als sie die Gegend um den Steindamm erreichten, sah Andreas neugierig aus dem Fenster. Manchmal erschreckte es ihn, wie wenig er seine Heimatstadt kannte.
    Das Flattern begann, als Sascha den Wagen in eine enge Parklücke bugsierte. Zuvor hatte Andreas keine Zeit gehabt, sich zu fürchten. Vielmehr war er beschäftigt gewesen, sich über den eigenen Wagemut zu wundern. Die stummen Fragen, die auf ihn zudrängten, hatten unerbittlich seine Aufmerksamkeit eingefordert. Fragen, die sich darum drehten, warum es ihm schwerfiel, während des Essens den Blick von Saschas Händen zu wenden.
    Entgegen seiner Natur empfand er etwas wie Stolz, als er auf dem Beifahrersitz Platz nahm und sich bewusst machte, was er zu tun beabsichtigte. Nein, Stolz war das falsche Wort. Erleichterung traf es eher. Sie entsprang der Gewissheit, dass er etwas tun wollte, was ganz und gar normal war. Selbstverständlich wie Verabredungen, Arbeit, Freundschaften, Urlaub oder durchfeierte Nächte. Normalität war etwas, was Andreas nicht oft bieten konnte.
    Entsprechend wunderte es ihn nicht, dass seine Finger zu beben begannen, sobald sie aus dem Wagen stiegen. Er vermutete, dass es nicht ungewöhnlich war, ein wenig aufgeregt zu sein, wenn man eine fremde Wohnung betrat. Angst hingegen war sicherlich nichts, womit sich ein gesunder Besucher herumzuschlagen hatte.
    »Wir sind spät dran, fürchte ich. Mal schauen, ob wir schon erwartet werden«, murmelte Sascha mit finsterem Blick zu einem auf malerische Weise heruntergekommenen Mehrparteienhaus.
    Andreas zwang sich, seine Aufmerksamkeit auf das fremde Gebäude zu lenken. Sein Blick erfasste eine offen stehende Haustür, von der die Farbe abblätterte, und mit Graffitis beschmierten Klinker. An einigen Stellen lösten sich die Fugen zwischen dem Stein auf. Die hölzernen Fenster waren ebenso ungepflegt wie die Tür. In langen Spänen platzte der Lack ab, und die Rahmen waren verzogen.
    Es war schade um das Gebäude, fand Andreas. Die historische Fassade strahlte Geborgenheit und Standhaftigkeit aus, aber im Gegensatz zu seinem eigenen Zuhause zerfiel es vor den Augen seiner Bewohner.
    Im Flur roch es nach Kuchen und Staub. Andreas schluckte. Er verbot sich, Sascha ins Gesicht zu sehen, während er hoffte, dass dessen WG nicht zu weit oben war. Umso höher eine Wohnung lag, umso weiter war der Fluchtweg. Ohne, dass Andreas etwas dagegen tun konnte, huschte sein Blick suchend durch den Flur. Keine Therapie der Welt konnte verhindern, dass sein Verstand auf die Art arbeitete, die er sich über lange Jahre der Krankheit antrainiert hatte. Sein Gehirn bereitete sich wie ein Kriegsherr auf die Schlacht vor.
    Überdeutlich nahm Andreas wahr, dass die Haustür mit einem Haken an der Wand befestigt war, sodass sie sich nicht schließen konnte. Das war gut. Die Zeit, die es brauchte, um eine Tür aufzureißen, konnte einen töten. Des Weiteren merkte er sich, dass die Einzelteile eines Regals zu nah an der Treppe standen und zur Stolperfalle werden konnten.
    »Da wären wir«, unterbrach Sascha Andreas’ zwanghafte Inspektion des Flurs. »Sind fast nur noch die Einzelteile der restlichen Möbel. Ich hoffe, die Regalseiten sind nicht zu lang für den Wagen.«
    »Und wenn doch?«, bemühte Andreas sich, sich auf die Stimme seines Begleiters zu konzentrieren.
    »Dann sind wir in Schwierigkeiten«, entgegnete Sascha lakonisch, bevor er ruppig gegen eine angelehnte Wohnungstür trat. Sie öffnete sich klaglos. Vom Abschließen schien in diesem Haus niemand etwas zu halten. »Bringen wir es schnell hinter uns.«
    Andreas holte verkrampft Luft und folgte Sascha auf das fremde Terrain. Er hasste die Unsicherheit in seinen Knien.
    Ungefragt schob sich eine Erinnerung aus der Grundschule an ihn heran. Sie musste aus einer Zeit kurz vor der endgültigen Manifestation seiner Phobie stammen. Er war auf einem Kindergeburtstag eingeladen gewesen und hatte jede Sekunde des liebevoll gestalteten Nachmittags verabscheut. Still und von den anderen Jungen ignoriert hatte er in einer Ecke gehockt. Den Geburtstagskuchen hatte er nicht probieren mögen, weil ihm schrecklich übel war. Die Vorstellung, beim Topfschlagen die Augen verbunden zu bekommen, war ihm ein Gräuel gewesen. Schließlich hatte sich die Mutter des Geburtstagskindes seiner

Weitere Kostenlose Bücher