Nach der Hölle links (German Edition)
Vielsagend rollte sie mit den Augen.
Saschas Laune sackte Richtung Erdkern. Anstelle einer Begrüßung erwiderte er: »Was ist passiert?«
Für einen Moment sah es aus, als wolle Svenja sofort antworten, doch dann schüttelte sie den Kopf – ein Klecks Haarbrei sickerte unter der Haube hervor und lief an ihrer Wange hinab – und zog ihn am Ärmel in die Küche. Hilfsbereit nahm sie Sascha die Sporttasche aus der Hand. »Komm, gib her. Ich hänge das für dich auf. Und hier …« Sie zog sich ein buntes Handtuch von den Schultern, das dem Schutz ihres T-Shirts gedient hatte, und reichte es ihm. Dann verschwand sie eilig.
Sascha suchte nach stinkenden Flecken im Frottee, dann nahm er das Handtuch dankbar entgegen. Während er seine Haare trocknete, trat er in die Fersen seiner Schuhe, um sie abzustreifen. Er hörte Svenja im Bad rumoren und fragte sich, warum er auf eine Erklärung von ihr wartete. Er konnte genauso gut gleich nach Nils sehen. Wenn Svenja ihn mit »Gut, dass du da bist« begrüßte, gab es immer ein Nils-Problem. Eines, bei dem die beste Freundin nicht helfen konnte und Sascha ran musste.
Trotzdem wartete er. Sei es, damit er durchatmen konnte, bevor er zu seinem Freund ging. Sei es, weil er wissen wollte, womit er zu rechnen hatte. Halb schämte Sascha sich für das ausgeschaltete Handy. Er hätte erreichbar bleiben sollen. Aber in den Vorlesungen waren Telefone verboten, und die knappe freie Zeit dazwischen war ihm heilig.
Svenja kehrte zurück. Sie schlich auf den Zehenspitzen, was bei einer Frau ihrer Masse albern aussah.
»Also?«, fragte Sascha leise.
»Er hat seinen Vater angerufen«, erklärte Svenja mit einem unterdrückten Seufzen.
»Nein. Wieso das denn?«
»Frag mich nicht. Ich habe ihm gesagt, dass er es lassen soll.« Missmutig verzog sie das Gesicht. Sascha war nicht sicher, ob sie in diesem Augenblick wütend auf Nils war oder ob er ihr leidtat. »Aber was willst du machen? Er wollte ihn halt sprechen.«
Obwohl er schleunigst seine nasse Hose loswerden wollte, ließ Sascha sich auf einen der Küchenstühle fallen und stützte das Kinn auf die gefalteten Hände. »Und?«
Svenja nahm ihm gegenüber Platz und zuckte die Achseln. »Was glaubst du denn?«
»Katastrophe.«
»Richtig.«
Nils’ Familiensituation war auf ihre Weise noch verzwickter als Saschas. Er stammte aus einer Kleinstadt im Hinterland von Niedersachsen. Seine Mutter war tödlich verunglückt, als er sieben Jahre alt gewesen war. Sein Vater hatte mit drei Kindern – Nils hatte zwei jüngere Schwestern – allein da gestanden und bald wieder geheiratet. War der Verlust der Mutter in jungen Jahren schon schlimm genug, hatte Nils nie einen rechten Draht zu seiner Ziehmutter gefunden. Das größte Problem war jedoch, dass die Brandts streng katholisch waren. Religion war Nils immens wichtig, und seine Homosexualität brachte ihn in heftige Gewissenskonflikte. Lange hatte er deswegen seine Orientierung verschwiegen, hatte die Dinge erst mit sich selbst ausmachen müssen, bevor er seine Eltern damit konfrontierte.
Vor wenigen Monaten erst hatte Nils sich ein Herz gefasst und sich geoutet. Ergebnisse waren ein cholerischer Anfall des Vaters, die zeitweilige Streichung aller Geldmittel und absolute Funkstille zwischen seiner Familie und ihm. Nils, der sich in seiner Kindheit und Jugend stark an seinem Vater orientiert hatte, litt unter dessen Ablehnung. Auch von seiner Stiefmutter und seinen Schwestern hatte er keinen Rückhalt zu erwarten.
Manchmal kam es Sascha vor, als gäbe es im Dunstkreis der Community keine intakten Familien mehr, als wäre Homosexualität das Todesurteil für Elternliebe. Von allen Seiten hörte und las man von jungen Menschen, die nach ihrem Coming Out massive Probleme mit ihren Familien bekamen. Es schien kaum jemanden zu geben, der ohne Konflikt angenommen worden war. Viele schafften es mit den Jahren, ein vernünftiges Verhältnis zu den Eltern aufzubauen. Anderen gelang es niemals. Die Positivbeispiele verblassten angesichts der vielen schlimmen Schicksale.
Sascha wusste nicht, ob sich jemand die Mühe gegeben hatte, diese Entwicklungen statistisch zu erfassen. Interessiert hätten ihn die Ergebnisse allemal.
»Und wie geht es ihm jetzt?«, wagte er zu fragen, obwohl er die Antwort bereits kannte.
»Wie es einem eben geht, wenn man an den Kopf geworfen bekommen hat, dass sich jede Sünde irgendwann rächen wird.«
Um ein Haar hätte er erwidert, dass ihm eine Bemerkung dieser Art
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