Nach der Hölle links (German Edition)
Ex-Freund und Familie nichts von Nils wissen wollten.
Wann daraus mehr geworden war, vermochte Sascha nicht zu sagen. Sie hatten sich wohl miteinander gefühlt, waren Leidensgenossen gewesen. Das knüpfte ein Band, das schleichend dicker wurde. Aber für Sascha fühlte es sich nicht richtig, nicht wie damals an. Es war stumpf, wo Glanz sein sollte.
Unglücklicherweise wusste Nils von Andreas. Nicht jedes Detail, aber genug, um zu ahnen, dass Sascha immer noch an ihn dachte. Er hatte nie aufgehört, sich zu fragen, was aus Andreas geworden war. Nie aufgehört, sich Vorwürfe zu machen und nie aufgehört, ihn zu vermissen. Seltsam, wie tief sich ein Mensch in einem halben Jahr in Herz und Verstand brennen konnte.
Solange Nils und er Freunde gewesen waren, gab es damit keine Probleme. Aber je inniger ihr Verhältnis wurde, desto eifersüchtiger zeigte sich Nils. Und je mehr Nils klammerte, desto heftiger kämpfte Sascha um seinen Freiraum. So lange, bis in schönster Regelmäßigkeit der bittere Vorwurf kam, dem er nichts entgegenzusetzen hatte: »Wenn ich Andreas wäre, dann …«
Die Wahrheit ließ sich nicht leugnen. Der entscheidende Funke zwischen ihnen fehlte. Es mochte sein, dass die Intensität seiner Gefühle für Andreas mit den unglücklichen Umständen zusammenhing, die sie zusammengebracht hatten. Sascha war wie ein verlorener Wolf auf der Suche nach einem Rudel durch Hamburg geirrt. Andreas’’ Sorgen und Sehnsucht nach einem Gefährten waren offensichtlich gewesen. Sie hatten sich aneinander geklammert, sich festgehalten und aufgerichtet. Verzweifelt, süchtig nach der Illusion von Sicherheit, die sie in den Armen des jeweils anderen fanden. Verliebt und gleichzeitig verloren.
Heute konnte Sascha besser beurteilen, was damals geschehen war. Heute wusste er. Vor drei Jahren hatte er nur geahnt und vieles nicht sehen wollen.
All dies änderte nichts daran, dass sich die Dinge mit Andreas anders angefühlt hatten. Realer, besser, aber auch schmerzhafter.
Sascha wusste, dass ihre Freunde die Situation mit Argusaugen beobachteten. Vermutlich redete man über die unglückliche Konstellation, in der sie lebten. Eine Dreier-WG. Svenja als Nils’ beste Freundin, Nils und er zusammen. Ärger war vorprogrammiert.
Während Sascha beklommen das Handy in die Hose gleiten ließ, begann es zu regnen. Doch weder der aufkommende Platzregen noch das Verstecken des Telefons konnten die Realität fortspülen.
Er musste mit Nils reden. Nicht heute, aber bald. Vielleicht lag Sascha falsch. Vielleicht verurteilte er ihre Chance miteinander zu schnell zum Tode, weil er nicht aufhören konnte, Nils mit Andreas zu vergleichen. Aber egal, wie er es drehte und wendete: Drei Anrufe in acht Stunden waren zu viel, zumal es an anderen Tagen schon deutlich mehr gewesen waren. Er fühlte sich eingeengt.
Als er eine halbe Stunde später nass bis auf die Haut sein Fahrrad abschloss, ärgerte er sich zu Tode, dass er am Morgen unbedingt sportlich sein wollte und den Bus links liegen ließ. In seinen Schuhen stand Wasser, die Jeans klebten an seiner Haut. Die Sonne war inzwischen vollständig untergegangen. Sascha tat sich schwer, im schummrigen Licht den Hausschlüssel ins Türschloss zu bugsieren.
In Gedanken halb bei einer Seminararbeit und halb bei der Planung des nächsten Wochenendes stiefelte er zu ihrer Wohnung. Als er um die Ecke bog und die Tür in Sicht kam, runzelte er die Stirn. Entgegen der hausinternen Regelung, nur den Haupteingang zu verschließen, war die Wohnungstür zu. Wenn abgeschlossen wurde, dann höchstens, weil jemand krank war, hart arbeiten musste oder weil es anderweitige Probleme gab.
Mit einem unguten Gefühl in der Magengegend betrat Sascha den winzigen Vorflur, in dem kaum genug Platz für eine Garderobe war. Es war verräterisch still. Kaum, dass er sich aus der nassen Jacke gepellt hatte, hörte er leise Schritte.
Behutsam wurde die Küchentür geöffnet. Svenja lugte um die Ecke. Ein strenger Geruch ging von dem merkwürdigen Kopfputz aus Duschhaube, Frischhaltefolie und einem grün-braunen Brei auf ihrem Kopf aus.
Sascha verdrehte grinsend die Augen. Wenn es in ihrer Wohnung stank, als hätte sich eine Kuh auf dem Küchentisch entleert, wusste er, was los war. Svenja hatte eine Vorliebe für Henna und suchte seit zwei Jahren nach dem richtigen Farbton für ihre mausbraunen Haare. Er bezweifelte, dass sie ihn je finden würde.
»Hey«, flüsterte Svenja atemlos. »Gut, dass du da bist.«
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