Nach der Hölle links (German Edition)
herzlich am Arsch vorbeigegangen wäre. Aber damit war niemandem geholfen. Nils war nun einmal gläubig. Ihn konnte man mit solchen Sprüchen schlagartig aus dem Takt bringen.
Saschas Magen kannte seinerseits kein Taktgefühl und knurrte schlecht gelaunt. Das Training hatte ihn auf gute Weise schlaff zurückgelassen. Eigentlich wollte er sich nur noch mit einer Pizza vor den Fernseher setzen und abschalten. Aber wie es aussah, konnte er diesen Teil des Tages getrost vergessen.
»Ich sehe nach ihm. Hat er sich eingeschlossen?«, fragte er düster.
»Bis gerade eben zumindest nicht.« Svenja machte eine kleine Pause. »Danke.«
Mit einem schiefen Lächeln stand Sascha auf und schlurfte in den Flur. Unterwegs zog er sich das feuchte T-Shirt über den Kopf und feuerte es achtlos in sein Zimmer, bevor er zu Nils ging. Einen Augenblick lang blieb er vor dessen Tür stehen. Die Gedanken, die ihm nach dem Schwimmen durch den Kopf gegangen waren, probten den Aufstand, doch Sascha schob sie schnell beiseite. Er fühlte sich mies dabei, ihre Beziehung anzuzweifeln, während es Nils dreckig ging.
Spätestens, als er nach einem kurzen Klopfen die posterverzierte Tür öffnete, vergaß Sascha jeden Gedanken an ein klärendes Gespräch. Die bunten Vorhänge waren bereits zur Nacht geschlossen, und melancholische Musik waberte ihm entgegen. Nils lag als zusammengerolltes Bündel auf seinem Bett und hatte das Gesicht in den Armen vergraben. Er regte sich nicht, wirkte so klein und verloren, dass es Sascha ins Herz schnitt. Egal, wie sie zueinander standen, egal, was ihn an Nils’ Verhalten störte – in diesem Moment konnte er nicht anders, als sich zu ihm hingezogen zu fühlen. Sascha wusste, wie weh es tat, von den eigenen Eltern abgelehnt zu werden. Vereint in dem Gefühl, allein durch die Welt zu streifen, wurden sie zu Brüdern. Er, Nils, alle, denen die Zuneigung ihrer Eltern auf die eine oder andere Weise abhandengekommen war.
Wortlos trat er zum Bett und setzte sich. Schluckend streckte er die Hand aus und strich Nils durch die Haare. Sascha spürte das Beben und Zittern, konnte es nachfühlen und kam sich hilflos vor, bis sein Freund sich blitzartig aufrichtete und ihm um den Hals fiel.
»Sascha …«, flüsterte Nils mit brechender Stimme. Sein Gesicht war heiß und geschwollen. »Was habe … ich denn getan? Warum … ist es denn wirklich so schlimm, dass …?«
»Nein. Nein, wirklich nicht«, gab Sascha heiser zurück und umarmte seinen Freund so fest, als wolle er ihm die Rippen brechen.
»Aber warum … er hat gesagt, dass ich nicht mehr anrufen soll. Ich wollte doch nur …« Ein gedämpftes Schluchzen schüttelte Nils.
»Shhh … schon gut. Ich bin ja jetzt da. Ist okay. Komm her.«
»Warum hasst er mich denn nur so?«
Darauf hatte Sascha keine Antwort. Er konnte Nils nichts erklären, was er selbst nicht verstand. Aber er bezweifelte sowieso, dass Nils mit Worten zu erreichen war. Zu tief hatte er sich in seinen Schmerz fallen lassen, als dass es Sinn gehabt hätte, ihm den Kopf zurechtzurücken.
Stattdessen schob Sascha sich auf das Bett, in dem er schon so manche Nacht verbracht hatte. Nils schaffte den Drahtseilakt, sich gleichzeitig an ihn zu klammern und zu rücken, damit sie zusammen Platz hatten. Als sie nebeneinanderlagen, murmelte er kaum verständlich: »Du bist ja ganz nass. Zieh das aus.«
Sascha tat ihm den Gefallen. Er war selbst erleichtert, die bleischwere Hose loszuwerden. Mit einigen gezielten Tritten fiel sie vom Bett. Kaum, dass er wieder auf dem Rücken lag, war Nils in seinen Armen und schmiegte sich auf seine nackte Brust. Langsam, sehr langsam beruhigte er sich, während Sascha ihm mit den Fingerspitzen sanft die Kopfhaut massierte.
Der traurige Alt einer Frau hüllte sie ein, vermischt mit zarten Klängen und Geräuschen, die an den Gesang von Walen erinnerten. Ein wenig düster, aber dennoch melodiös und leicht wie eine fallende Feder.
Unstet suchte Nils nach Saschas Hand und streichelte dessen Finger, zog sie an sich heran und legte sie auf sein Gesicht. Dann warf er die zerwühlte Decke über sie, was Sascha mit einem zufriedenen Seufzen quittierte. An den Beinen war es allmählich kalt geworden. Vorsichtig drehte er sich zu Nils um und umfasste ihn, bugsierte ihn zwischen seinen eigenen Körper und die Wand, als wolle er ihn vor der Welt schützen. Im Grunde wollte Sascha das auch.
»Glaubst du, dass er recht hat?«, fragte Nils nach einer Weile zittrig. »Dass wir am
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