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Nach der Hölle links (German Edition)

Nach der Hölle links (German Edition)

Titel: Nach der Hölle links (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raik Thorstad
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die eigenen Lippen schob und sich zu ihm neigte, damit er ihm die Probe abnehmen konnte. Das Spiel schien dazu geschaffen, sich näher zu kommen.
    Doch jetzt blieb Andreas auf frustrierender Distanz. Seine Bewegungen wirkten hölzern, als er ihm die erste Probe in die offene Hand legte. Sascha verbot sich einen enttäuschten Laut und führte die Schokolade zum Mund.
    »Schmeckt es?«, fragte Andreas, kaum dass der Schmelz sich auf seiner Zunge auflöste.
    »Ja.«
    »Und was glaubst du, ist es?«
    »Ich schätze mal …«
    »Na?«
    »Lass mich überlegen. Marabou «, riet Sascha ins Blaue hinein. Er war nicht bei der Sache – und er war damit nicht allein. Das konnte er spüren. Ob Andreas ihm zusah, wie er sich einen verirrten Krümel aus dem Mundwinkel leckte?
    »Daneben. Noch ein Versuch?«
    »Na klar.«
    In den folgenden Minuten geriet das Spiel zu einer stoischen Zeitverschwendung. Sascha kam sich vor wie eine Kuh, die desinteressiert wiederkäute, was ihr Magen auswarf. Statt sich auf die Schokolade zu konzentrieren, lauschte er auf jede Bewegung in seiner Umgebung.
    Mit jedem Bissen kam Sascha sich alberner vor. Lustlos wanderte er mit der Zunge über die Proben, schummelte, indem er die Formen und Prägungen in der Schokolade ertastete. Riet manchmal richtig, manchmal falsch.
    Es machte keinen Spaß. Alles schmeckte gleich, nach Sägemehl, enttäuschter Hoffnung und Anspannung. Keine erotischen Spiele, kein Mund, der sich ihm aufdrängte. Keine Stimme, die flüsterte: »Lass mich mal probieren.«
    So viel zu seinen berauschenden Tagträumen. Es war zwecklos. Die Kluft war zu groß und keiner bereit, den Sprung über den Graben zu wagen.
    Der Abend schlingerte auf eine gefühlsmäßige Katastrophe zu. Sascha überlegte bereits, ob es nicht besser wäre, sich frühzeitig zu verabschieden und ihnen beiden diese Farce zu ersparen. Dann half der Zufall ihnen auf die Sprünge.
    Er wusste nicht, wie ihm geschah, als er sich urplötzlich verschluckte und zu husten begann. Um ein Haar hätte er auf den Tisch gespuckt. Kakaomasse fraß sich durch seine Atemwege und ließ ihn die Augen aufreißen. Er prustete und fluchte. Keuchte und sah sich auf einmal mit einer der spitzen Bemerkungen beschenkt, die er so liebte.
    »Ich sehe schon. Es hat sich wirklich nichts geändert«, prustete Andreas unerwartet los. »Du bekommst den Hals einfach nicht voll.«
    Sascha röchelte, um die fehlgeleitete Schokolade hervorzubringen, und schlug kraftlos in Andreas’ Richtung. Gleichzeitig musste er lachen. Es war, als würde etwas in ihm bröckeln, das seit Tagen im Weg gewesen war.
    »Ja ja, das kommt davon«, zog Andreas ihn gnadenlos auf. »Das wird eines Tages auf deinem Grabstein stehen, weißt du? Sascha Suhrkamp, zu Fall gebracht von seinem eigenen Heißhunger.«
    Sascha konnte nicht antworten. Es zerriss ihm die Luftröhre. Neben ihm bewegte sich etwas. Gleich darauf tauchte der kühle Rand eines Glases an seinen Lippen auf. »Komm, trink, bevor du mir hier vom Sofa kippst.«
    Sascha ließ es zu, dass ihm einzelne Topfen in den Mund geträufelt wurden. Er schluckte. Die Hand, die seinen Rücken klopfte, nahm er erst bewusst wahr, als der Hustenreiz nachließ und er nicht länger das Gefühl hatte, Säure durch die Nase gezogen zu haben.
    Mit Tränen in den Augen und geröteten Wangen blinzelte er zur Seite. Andreas saß dicht neben ihm. Kaum mehr als eine Handbreit fand zwischen ihnen Platz. Zwei oder drei Mal kräftig husten, sich dabei schütteln, und ihre Beine würden sich berühren.
    Ihre Blicke trafen sich über das Wasserglas hinweg, blieben aneinander hängen. In Andreas’ Augen stand ein Ausdruck, den Sascha nicht erwartet hatte. Eine Kreuzung aus mildem Amüsement und der überraschten Erkenntnis, dass jede weitere Bewegung dazu führen würde, dass sie sich berührten.
    Lange Sekunden strichen arglos dahin, während in Sascha Gedankenblitze tobten. Es waren Augenblicke wie dieser, in denen deutlich wurde, wie vorzüglich das menschliche Gehirn arbeitete. Wie schnell es Szenarien kreierte und wieder verwarf. Wie rasch es in seinen Gedankenspielen Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit bewertete und gleichzeitig gar nichts zuwege brachte.
    Der Zauber brach, als Andreas sich zurückzog. Scheinbar gelassen griff er in die Kühlbox, um die nächste Tafel Schokolade herauszuholen. Seine Züge waren glatt, wie gemeißelt. Sie gaben nichts preis. Warum auch? Nach außen hin war nichts vorgefallen. Ein junger Mann hatte sich

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