Nach der Hölle links (German Edition)
damals dieselbe Entscheidung gefällt hätte, wenn er gewusst hätte, welches unaussprechliche Grauen auf ihn zukam.
Was in der Therapiesitzung vernünftig geklungen hatte, war zur fast unüberwindbaren Hürde geworden. Verzweifelt hatte Andreas einen Weg gesucht, Sascha zu signalisieren, dass es in Ordnung war. Sie waren erwachsen. Miteinander Sex zu haben, bedeutete nicht unweigerlich, dass sich etwas zwischen ihnen änderte. Für die E-Mail an Sascha hatte er drei Stunden und unzählige Versuche gebraucht. Zwischendurch hatte Andreas sich dabei ertappt, dass er seitenlange Pamphlete tippte, in denen er Sascha beschimpfte, mit ihm flirtete, die Geschehnisse ins Lächerliche zog oder ihn aus seinem Leben warf; manchmal alles innerhalb weniger Zeilen.
Das Treffen selbst hatte er anfangs als notwendiges Übel gesehen; als einen lang andauernden Flug, bevor man endlich den Urlaubsort erreichte. Unangenehm, aber mit vager Vorfreude versehen. Besser geworden war es erst, als er Sascha anfassen konnte. Und das wiederum war überhaupt nicht besser gewesen, denn es machte Andreas deutlich, dass er sich auf eine neue Abhängigkeit zubewegte.
Sich nur gut fühlen, wenn Sascha da war. Frei sein, wenn Sascha ihn berührte. Gefangen sein, wenn er allein war; sich der Leere in seinem Leben bewusster denn je.
Andreas war, als müsse er in Tränen ausbrechen. Nicht, weil er traurig war, sondern weil ihn das Chaos in seinem Kopf heillos überforderte und er sich wünschte, Sascha wäre nicht in sein Leben zurückgekehrt.
Dessen Anwesenheit frischte die Bilder aus Andreas’ Erinnerung auf und verlieh ihnen scharfe Kanten, an denen er sich schnitt. Plötzlich wusste er wieder, wie sehr er es damals genossen hatte, an Saschas entspanntem Körper entlang zu streichen, wenn sie aneinander gedrängt einschliefen. Diese stillen Momente geteilter Gelassenheit in seinem alten Zimmer hatten Andreas gelehrt, wie ein Miteinander aussehen konnte.
Er vermisste es, jemanden zu haben, der verlässlich an seiner Seite stand und Wert darauf legte, Zeit mit ihm zu verbringen. Andreas hatte früh gelernt, dass nichts kostbarer war als Zeit, die man verschenkte. Man konnte eine Freundschaft oder Beziehung nicht nachdrücklicher adeln. Früher einmal war Andreas ein wichtiger, geschätzter Freund gewesen. Heute war er es nicht mehr.
Andreas würgte. Ein scharfer Schmerz lauerte in seinem Bauch. Sein Körper protestierte. Er hatte keine Ahnung, wie er am Morgen zur Arbeit fahren sollte. Der Gedanke an den Bus entsetzte ihn auf eine Weise, die normalerweise der Flucht vor einem rasenden Säbelzahntiger vorbehalten war.
Wenn ein harmloser Nachmittag ihn bereits dermaßen aus der Bahn warf, wie würde es ihn erst zerfleischen, wenn Sascha und er sich einander näherten und scheiterten? Andreas fürchtete um die Ordnung in seinem Leben.
»Du bist sowas von kaputt«, haspelte Andreas in die Stille hinein. Jemanden mögen, und gleichzeitig Angst vor ihm haben. Etwas wollen, und sich nicht darauf einlassen können. Etwas vermissen, und es nicht nehmen, weil die Sorge, es zum zweiten Mal zu verlieren, einen lähmte. Und um ihn herum die verzehrende, den Atem raubende Leere.
Die Angst nahm allmählich ab, aber sie ließ Wünsche und Bedürfnisse zurück, die er selbst in Gedanken nicht aussprach. Aber sie zeigten sich, indem er durch die Finsternis zur Couch sah und sich erinnerte, dass er vor wenigen Stunden Kontakt mit einem anderen Menschen gehabt hatte.
Wenn er die Gelegenheit genutzt und Sascha geküsst hätte, wären sie dann miteinander im Bett gelandet? Nur dieses eine Mal, um sich für eine kleine Weile gut zu fühlen? Es wäre nur fair gewesen. Schließlich konnte Sascha sich bestimmt weit besser an die Nacht nach der Party erinnern als Andreas. Nur ein einziges Mal Haut und Schweiß und Hände und Körper, die sich aneinanderdrängten. Nur ein einziges Mal mit Sascha schlafen und ihm so nah kommen wie eben möglich.
Nein. Unvernunft. Es wäre nicht nur ungerecht, mit Sascha zu spielen, Andreas zweifelte auch, dass er sich selbst aus der Falle befreien könnte, wenn er sich einmal auf das Wagnis einließ. Süchtig werden war das Letzte, was er wollte. Und Saschas niederschmetternd aufregender Männerkörper war genauso gefährlich wie das Lorazepam , gegen dessen Sog sich Andreas zeitweilig wehren musste.
Er rollte sich enger zusammen und wünschte sich verzweifelt Gesellschaft, während er die Müdigkeit niederkämpfte und sich bemühte,
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