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Nach der Hölle links (German Edition)

Nach der Hölle links (German Edition)

Titel: Nach der Hölle links (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raik Thorstad
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Zeiger erkennen konnte. Es war kurz vor 12. War es nicht immer kurz vor 12?
    »Du kommst zu spät«, flüsterte eine fremde Stimme hinter seiner Stirn. »Immer kommst du zu spät. Er ist ohne dich aufgebrochen. Er hat dich zurückgelassen.«
    Das konnte nicht sein. Nicht schon wieder. Er hatte es ihm versprochen.
    Dem Pfeifen in seinen Lungen zum Trotz beschleunigte Andreas. Seine bloßen Fußsohlen wurden vom Schotter aufgerissen. Er war nackt. Warum war er nackt? Jemand fasste ihm an den Arm, um ihn zu bremsen. Hysterisch schlug er um sich.
    Die Lok verschwand hinter einer Plakatwand, die es zu umlaufen galt. Hindernisse warfen sich in seinen Weg. Der Zug gewann an Tempo. Das Stampfen der Maschinen wurde rhythmischer. Sascha hängte sich die Uhr um den Hals und klatschte im Takt.
    Andreas sprintete. Sein überfordertes Herz pumpte zu wenig Blut in sein Gehirn, ihm schwindelte. Er musste es schaffen. Fast hatte er das Geländer erreicht. Fast konnte er auf die Metalltreppen springen. Es fehlte nur ein winziges Stück.
    »Gib mir deine Hand!«, keuchte er. »Hilf mir.«
    Doch Sascha schüttelte den Kopf, drehte sich um und betrat den Speisewagen.
    Andreas kam ins Stolpern, ging zu Boden und rollte auf die Bahngleise. Das bestialische Kreischen der Eisenräder kam näher. Dann waren sie über ihm, und er wurde zerstört.

    Nachdem er zum dritten Mal im Traum gestorben war, konnte Andreas nicht in den Schlaf zurückkehren. Sein Körper wollte, war fast so erschöpft wie nach den Übungen in der Konfrontationstherapie. Doch er war zu verängstigt, um das Experiment Schlaf zu wagen.
    Die Nachwehen der Albträume nahm Andreas mit in die Wirklichkeit, als er die steifen Beine aus dem Bett schwang und sich auf die Kante setzte. Das Zittern in den Muskeln war eine Warnung, dass er im Begriff war, auch im wachen Zustand die Kontrolle zu verlieren.
    Panik näherte sich ihm. Sie umschmeichelte ihn wie eine tollwütige Katze, die sich an seine Beine schmiegte, nur um kurz darauf mit wilden Bissen ihre tödliche Krankheit zu übertragen. Weil Andreas um das Leid wusste, das mit der Angst kam, wurde es schwieriger, ihr auszuweichen. Es war nie gut, vor der nächsten Panikattacke Angst zu haben.
    Er sprang auf die Füße. Fluchtartig verließ er sein Schlafzimmer; nicht zuletzt, um dem einen Hilfsmittel zu entkommen, das ihm zur Verfügung stand. Er sehnte sich nach seinen Medikamenten und dem furchtlosen Rausch.
    Für einen Moment stand er verloren im Wohnzimmer. Die Schiebetür zum Schlafzimmer sang in ihrer Aufhängung, weil er sie zu heftig zugeworfen hatte. Kein Licht, abgesehen vom grünen Standby-Auge seines Monitors.
    Andreas war nach Verkriechen zumute. Mit schmerzenden Eingeweiden schlich er zu seinem Arbeitsplatz. Der Schreibtischstuhl kam ihm viel zu hoch und instabil vor, sodass er sich zögernd vor dem Bücherregal niederließ. Instinktiv glitten seine Knie zum Oberkörper, legten sich seine Arme um die Beine, bis er aufrecht in Embryonalhaltung saß. Mit abwärts gerichtetem Gesicht starrte Andreas in die Dunkelheit, sein warmer, zu schneller Atem strich über die Oberschenkel.
    Die Tatsache, dass er wach war und begann, seine Träume zu sortieren, half nicht gegen die Angst. In Wellen glitt sie durch ihn hindurch. Jedes Mal, wenn er hoffte, sich beruhigt zu haben, kehrte sie zurück und zeigte ihm den Stinkefinger. Dann glaubte er, es keine Sekunde länger ertragen zu können. Der Zustand dauerte an, bis es besser wurde und der Zyklus von vorn begann.
    Sascha. Vorhin auf seiner Couch, nun in seinen Träumen. Andreas hatte mit einer Reaktion gerechnet, aber nicht damit, dass sie so heftig und eindeutig ausfallen würde. Oder hatte er es geahnt? Als Sascha den Kopf an sein Bein lehnte und Andreas nicht anders konnte, als ihn zu berühren?
    Unter dem Deckmantel besorgter Freundschaft hatten seine Finger entschieden, dass Kraulen eine hervorragende Therapie gegen Sodbrennen war – und gegen die verklemmte Unruhe zwischen ihnen.
    Er würde Köninger töten oder zumindest anschreien, weil er Andreas das Gefühl gegeben hatte, dass jedes Abrücken von Sascha feige wäre. Die Art Fluchtinstinkt, dem er nicht nachgeben durfte, wenn er emotional weiterkommen wollte.
    In der Klinik hatten sie ihn einmal gefragt, was er wollte. Bis zum Ende seiner Tage einsam und verängstigt in seinem Zimmerchen hocken und das Geld seiner Eltern ausgeben, oder ein freier Mann sein. Er hatte seine Wahl getroffen.
    Andreas fragte sich, ob er

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