Nach der Hölle links (German Edition)
den vergangenen Wochen kräftig gewachsen. Anscheinend waren Unmengen Gel nötig, um sie in die wilden Stacheln zu verwandeln, die Sascha seit Jahren trug. Unter dem aus der Form gegangenen Regenbogen-T-Shirt sah Andreas angespannt nach hinten gezwungene Schulterblätter.
Sascha stand breitbeinig, hatte die Daumen in die Gürtelschlaufen seiner Shorts gehakt wie ein Cowboy kurz vor dem Showdown. Die bloßen Unterschenkel waren behaarter als damals. Saschas Hintern war so schmal und muskulös wie früher. Daran hatte sich nichts geändert. Vielleicht kam er durch die veränderte Rückenform besser zur Geltung, aber für Andreas wirkte er verstörend vertraut.
Vieles an Sascha war ihm vertraut. Und was viel wichtiger war: Vieles an Sascha war grausam verlockend, weit über reine Triebbefriedigung hinaus.
Andreas unterband mit Mühe, sich unter unwillkommenen Gedanken wie ein nasser Hund zu schütteln. Am liebsten hätte er schlichtweg geleugnet, was in ihm vorging, aber dafür war es wohl zu spät.
Sascha hustete harsch und machte ihnen beiden bewusst, dass sie eisern geschwiegen hatten. Hatte Andreas überhaupt schon ein Wort gesprochen, seitdem Sascha aufgetaucht war? Für den Moment konnte er daran nichts ändern, seine Stimmbänder klebten wie verkochte Spaghetti aneinander und wollten sich nicht rühren.
Sascha schien weniger Probleme zu haben, denn plötzlich schnaubte er gegen das Glas der Balkontür: »Kann ich dich mal was fragen?«
Unterdrückter Zorn ließ seine Stimme zittern und peitschte Andreas entgegen, sodass er unwillkürlich die Hände in die Wolldecke grub. Als er bemerkte, dass er sich wie eine mittelalterliche Jungfrau in Nöten aufführte, schob er den Stoff schnell von sich.
Andreas wollte etwas Kluges sagen. Etwas Vernünftiges. Er wollte erklären, dass es ihm nicht gut ging und er keine Kraftreserven für ein verbittertes Gespräch hatte. Aber er schaffte es nur bis zu einem unbestimmten Laut, den man breit interpretieren konnte.
Für Sascha schien es Zustimmung genug zu sein, denn er wirbelte zu ihm herum. »Hast du deinen Eltern inzwischen gesagt, dass du schwul bist?«
Überrascht öffnete Andreas den Mund. Er versuchte, die Kurve von seinen Umtrieben auf Brains Party zu seinem nicht vollzogenen Coming-out zu bekommen. Halb erwartete er einen Vortrag, dass er sich weniger dumm anstellen und peinlich benehmen würde, wenn er erst dazu stand, wer er war.
»Nein«, erwiderte er defensiv.
»Sei froh«, schoss Sascha giftig zurück. Sein Kiefer malmte. »Sei froh, dass du so klug warst, die Schnauze zu halten und dich nicht erwischen zu lassen. Ich wünschte, ich wäre so schlau gewesen wie du. Aber nein, natürlich nicht. Ich musste ja ehrlich sein. Out and proud. Ich musste mit einem Kerl, der die Spucke nicht wert war, auf dem Sofa meiner Eltern rummachen. Warum habe ich mir nicht gleich eine Zielscheibe auf die Stirn tätowieren lassen? Das wäre einfacher gewesen.«
Andreas blinzelte zwei Mal. »Was ist passiert?«, fragte er leise.
Sascha hob die Arme und ließ sie kraftlos zurückfallen. Es zuckte in seinem Gesicht, als hielte er seine Emotionen mühsam unter Kontrolle. »Nichts. Ich war nur so frech, beim Umzug meiner Schwester zu helfen und dabei nicht zu verstecken, wer ich bin. Dann habe ich mir auch noch die unendliche Dreistigkeit erlaubt, meiner Mutter zu versprechen, dass ich Katja in Hamburg zur Seite stehen werde. Damit sie nicht auf dem Strich landet oder was immer armen kleinen Mädchen vom Lande im Dschungel der Großstadt passiert.«
Am liebsten wäre Andreas aufgestanden und zu dem aufgebrachten Freund gegangen, um ihn zu umarmen, aber er traute seinen Beinen nicht.
»Das ist doch eine nette Geste«, sagte er vorsichtig.
»Ja«, spuckte Sascha aus und trat mit der Kante seines Turnschuhs gegen die Couch. »Das dachte ich auch. Sascha, habe ich mir gesagt, alter Junge, deine Frau Mutter ist nicht gut auf dich zu sprechen. Aber vielleicht denkt sie besser von dir, wenn du dafür sorgst, dass deine kleine Schwester nicht unter die Räder kommt.« Er warf Andreas einen finsteren Blick zu. »Weißt du, was sie gemacht hat?«
Der schüttelte den Kopf, aber das Mitgefühl baute sich bereits in ihm auf. Er konnte sehen, dass Sascha wehgetan worden war, wie nur Eltern ihren Kindern wehtun konnten.
»Sie will, dass ich mich von Katja fernhalte, damit ich sie nicht in meine Kreise ziehe, verseuche, mit HIV infiziere oder weiß der Teufel. Lass dir das mal auf der
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