Nach der Hölle links (German Edition)
wissen, was seine Mutter sich vorstellte, wenn sie an ihn dachte. Es war schlimm genug, dass er es sich ungefähr ausmalen konnte. Vermutlich dachte sie an den Bahnhofsstrich und eine Kommune voll schwuler Männer, die sich nach einem Lossystem quer durch die Wohnung vögelten und gegenseitig mit peinlichen Krankheiten ansteckten.
Er räusperte sich. »Dann können wir ja schon einmal die ersten Sachen nach oben bringen.« Bloß fort aus ihrer Reichweite.
Warum noch einmal hatte er Andreas’ Angebot zu helfen ausgeschlagen? Richtig, weil er ihn dem hier nicht aussetzen wollte. Trotzdem, Sascha hätte viel dafür gegeben, wenn Andreas – oder irgendjemand – jetzt dabei gewesen wäre. In der Nähe Fremder konnte er sich vor den Attacken seiner Mutter sicher fühlen. Sie hätte sich eher die Zehen abgekaut, als vor den Augen anderer eine Szene zu veranstalten.
An Andreas zu denken, war unangenehm. Sascha hatte in dieser Woche viel über ihn nachgedacht. Sich oft gefragt, ob er ihn anrufen sollte und es nicht gewagt. Andreas hatte ihn weggeschickt und damit deutlich gezeigt, dass er mit dem, was vorging, allein fertig werden wollte.
Sascha war von sich selbst überrascht gewesen, als er begriff, dass ihn diese Zurückweisung mehr schmerzte als die Tatsache, Andreas mit einem anderen im Gras vorgefunden zu haben. Selten hatte er eindringlicher gespürt, Andreas zu lieben, als in diesen Tagen; gerade weil es wehtat und ihn fast zerriss, dass er nichts von ihm hörte. Gerade weil etwas in ihm eifersüchtig röhrte und fauchte, obwohl er doch wusste, dass er kein Recht hatte, ihm Treue abzuverlangen. Das hatte er Isa gegenüber nicht umsonst so vehement betont. Er hatte sich wohl selbst überzeugen wollen.
Zurück blieb Sehnsucht und die Hoffnung, dass es ihm in Zukunft erspart blieb, über Andreas in der Umarmung eines Mannes zu stolpern. Ihn mit einem anderen zu sehen und selbst vor Begehren fast aus der Hose zu springen, das war zu viel. Mit allem konnte er leben – freundschaftliche Distanz, wo er zärtliche Nähe wollte, seine dauerhaft unterdrückten Wünsche ohne Aussicht auf Erfolg –, aber nicht damit, Andreas’ Suche nach Sex ins Gesicht gerieben zu bekommen.
Karen Suhrkamp legte die Hand auf den sauberen Lack ihres Wagens. Ihm fielen Falten auf, als sie ihm einen merkwürdigen Blick zuwarf. »Es ist vielleicht ganz gut, dass wir einen Moment allein sind. Ich habe etwas mit dir zu besprechen. In Ordnung?«
Ihr angestrengter Unterton gefiel Sascha gar nicht. Unmerklich kniff er in seinen Unterarm, um sich zu zügeln und ihr keine pampige Antwort zu geben.
Karen strich sich umsichtig durch ihre perfekt sitzende Dorfmaus-Frisur. Jedes Haar saß unter Androhung von Ausschluss aus dem Ensemble sittsam an seinem Platz. Sascha fragte sich boshaft, wie es möglich war, dass ein Mensch an einem sonnigen, fröhlichen Sommermorgen zu einem farblosen Fleck in der Landschaft wurde.
»Nun, ich bin nicht begeistert, dass Katja nach Hamburg geht«, begann sie und zog nacheinander an ihren Fingerkuppen. Sie sah ihm nicht in die Augen. »Jeder weiß, was für ein raues Pflaster diese Stadt ist. Sie ist einfach nicht das Richtige für ein junges Mädchen wie Katja, das vorher in einem ruhigen Dorf gewohnt hat.«
Sascha bemühte sich um Verständnis und Gerechtigkeit, denn ganz falsch lag seine Mutter nicht: Hamburg war wirklich wilder und rauer als das Dorf, in dem er aufgewachsen war. Es gab mehr Ecken, in die man sich nicht verirren sollte, und mehr Orte, die es zu meiden galt.
Er ahnte, wohin das Gespräch führte: »Man muss wissen, von welchen Gegenden man sich fernhält. Aber wir reden von Katja. Sie ist nicht auf den Kopf gefallen, und sie ist ja nicht allein hier oben. Tanja, ihre Familie und ich sind ja auch noch da. Und sie hat gesagt, dass mindestens zwei Leute aus ihrem Jahrgang auch in Hamburg studieren werden.«
Karens Blick verfing sich an seinem T-Shirt. Sie schauderte unterdrückt. Dann sah sie über seine Schulter hinweg zum Wohnheim. »Siehst du, das ist genau das, was ich mit dir besprechen wollte.«
Etwas Warmes berührte Sascha von innen heraus, als er an seine kleine Schwester dachte. Er freute sich, dass sie hier war, und es würde ihm eine Ehre sein, ihr die Stadt zu zeigen und ihr anfangs in der Fremde zur Seite zu stehen.
»Mach dir keine Sorgen, Mama«, sagte er ernst. »Ich kann nicht dauernd um sie herum sein. Aber ich passe auf sie auf. Ich lasse sie bestimmt nicht hängen. Und wenn
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