Nach der Hölle links (German Edition)
es nötig ist, ziehe ich sie an den Haaren aus den falschen Clubs heraus, okay?«
Es zuckte in ihrem Gesicht. Sie führte die Faust zum Mund und drückte sie kurz gegen die Lippen. Feuchtigkeit stand in ihren Augen, und zum ersten Mal seit sehr langer Zeit fühlte Sascha sich seiner Mutter näher.
Langsam sah sie zu ihm auf, bevor sie brüchig sagte: »Weißt du, Katja hat sich verändert. Sie ist ruhiger geworden. Sie trägt nicht mehr diese scheußlichen Sachen und ist, na ja, sie ist erwachsen geworden. Ich weiß gar nicht, ob ihr euch noch gut versteht …« Sascha machte eine wegwerfende Handbewegung, doch seine Mutter ließ ihn nicht zu Wort kommen: »Ich wollte dich bitten … nein, ich erwarte von dir, dass du genau das nicht tust.«
»Was?« Sascha neigte verständnislos den Kopf.
Karen Suhrkamp raffte die Sommerjacke um ihre Schultern, als fröre sie. Dann sagte sie bestimmt: »Ich möchte, dass du Katja in Ruhe lässt. Ich möchte weder, dass du sie mit deinen Freunden bekannt machst, noch in eure Kreise einführst. Sie ist … vernünftig geworden, seitdem du nicht mehr da bist. Ich wünsche mir, dass das so bleibt.«
Sascha zuckte zusammen. Instinktiv trat er einen Schritt rückwärts, als könne er sich dadurch vor dem Schmerz schützen. Eine Ohrfeige hätte nicht eindrucksvoller sein können. Die Illusion, in dieser kleinen, schlicht wirkenden Frau seine Mutter zu erkennen, zerplatzte. Stattdessen stand er einer Fremden gegenüber. Einer Fremden, die glaubte, ihn von seiner eigenen Schwester fernhalten zu müssen.
»Das … ist nicht dein Ernst«, sagte er leise. »Du willst, dass ich …«
»Dass du sie in Frieden lässt, ja. Nun frag nicht so dumm nach. Du hast mich schon verstanden, Sascha. Du hältst dich doch für so schlau und für besser als den Rest von uns. Ich habe nur zwei Kinder. Bei Katja sehe ich Hoffnung, dass aus ihr mit den Jahren eine verständige Person wird. Jemand, auf den man stolz sein kann.« Sie besaß die Dreistigkeit, ihn um Verständnis anzuflehen. »Bei dir hingegen …«
Abwehrend hob er die Hand. Er konnte nicht sprechen und wollte nichts mehr hören. Gar nichts mehr. Die abstruse Bitte seiner Mutter wühlte in ihm, massakrierte ihn. Mit einem Mal begriff er, wie hoffnungslos sein Unterfangen der Annäherung war. Sie hatte ihn aufgegeben. Wie ein gescheitertes Experiment war er aussortiert worden. Sie schämte sich für ihn und keine Zeit der Welt würde etwas daran ändern.
Er war nicht der Sohn, den sie haben wollte. Also baute sie darauf, dass ihr wenigstens die Tochter blieb. Und auf eine kranke, abartige Weise verstand Sascha das. Deshalb schwieg er und verzichtete darauf, sie anzuschreien. Er hätte nicht gewusst, was er sagen sollte. War fern von Worten oder menschlicher Sprache.
Niedergeschmettert sah er sich um. Wusste nicht, wie er reagieren sollte und war dankbar, als er den grünen Kastenwagen der Firma seines Vaters auf sie zurollen sah. Das Auto stand noch nicht, als Katja die Beifahrertür aufriss und heraussprang.
»Sascha!«, schrie sie und rannte auf ihn zu. Er nahm sie in die Arme und hielt sie fester als nötig gewesen wäre. »Ich bin da!«
»Hey, Kleine«, flüsterte er um Haltung bemüht.
»Endlich in Hamburg«, jubelte sie ihm ins Ohr.
Über ihre Schulter hinweg sah er zu ihrer Mutter. Ihr Gesicht war eisig, und plötzlich hatte er Angst, dass sie über kurz oder lang einen Keil zwischen Katja und ihn treiben könnte.
Kapitel 35
Er zitterte nach. Es war nicht schlimm oder gar bedenklich, aber nervtötend. Das innerliche Beben verhinderte, dass er sich entspannte und nach dem anstrengenden Tag zur Ruhe kam.
Andreas zog sich die Wolldecke bis zur Nasenspitze und spähte missmutig über das dunkelblaue Gewebe zum Blu-ray-Player. Die DVD war durchgelaufen, und er verspürte nicht die geringste Energie, sich zu erheben und sie zu wechseln.
Jedes Aufstehen war ein Sandkorn in der Auster der heilen Welt, die Andreas brauchte, um sich zu erholen. Jeder Gang ins Bad, jeder Wunsch nach einer neuen Flasche Wasser wollte wohlüberlegt sein. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er sich für die nächsten sechzig Stunden nicht bewegt. Montagmorgen wieder abmarschbereit zu sein, reichte völlig.
Blieb nur das Problem, dass er Ablenkung brauchte, um sich nicht endlos in den höllischen Kreisen aus »Hätte ich es nicht doch schaffen können?«, »Bin ich wirklich auf dem Weg, Alkoholiker zu werden?« und »Was soll ich nur mit Sascha
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