Nach der Hölle links (German Edition)
denken, als er auf die Terrasse ging, das Gewitter auf die Stadt zurollen sah und darauf wartete, dass der einsetzende Regen ihn bis auf die Haut durchnässte. Er reckte sein Gesicht dem Himmel entgegen und freute sich an dem Gefühl der warmen Tropfen auf seiner Haut. Der Geruch eines Sommergewitters hüllte ihn ein und ließ ihn fühlen, was seine hart erkämpfte Freiheit ihm bedeutete.
Kapitel 38
»Nein. Ich brauche wirklich … hören Sie: Ich mag mein Konto bei Ihnen. Ich bin damit zufrieden. Aber ich möchte keine private Finanzberatung … Nein, ich habe keinen Bedarf … Ja, von mir aus rufen Sie noch einmal an. In einem halben Jahr … Ja. In Ordnung.«
Andreas schleuderte das Telefon aufs Sofa und stierte es an, als wäre es sein ärgster Feind. Hinterhältiges Biest. Da klingelte es arglistig, verhieß Freuden oder Stress, und dann war es nur der übermotivierte Bankberater, der ihm einen neuen Fonds aufquatschen wollte. Noch ein oder zwei Anrufe dieser Art und er würde aus Prinzip die Bank wechseln. Nur, damit man ihm nicht mehr sabbernd und geifernd um die Beine kroch.
Dabei gab es kaum etwas, was Andreas zurzeit weniger interessierte als seine Kontoführung. Gewichtige Gedanken wälzten sich durch seinen Geist. Und wenn er sich selbst eine Pause vom ewigen Hin und Her seiner Überlegungen befahl, schwirrte er unruhig durch die Wohnung; Bücherrücken berührend, Fensterbänke streichelnd, das Bett betrachtend. Seine Tage kamen ihm endlos vor, unerfüllt und langweilig.
Wann hatte er aufgehört, nach der Arbeit wie ein Stein auf die Couch zu fallen und sich von einem Termin zum nächsten zu quälen? Wann hatte er begonnen, sich im Supermarkt Zeit zu lassen, statt verkrampft seinen Einkaufswagen zu füllen? Woher kamen die endlosen Stunden, die er nicht füllen konnte? Er hatte doch früher nicht soviel Freizeit gehabt.
Schlecht gelaunt schlenderte Andreas von der Küche ins Wohnzimmer, vom Wohnzimmer in den Trainingsraum und von dort ins Bad, das verzweifelt geputzt werden wollte. Kalkflecken, Haare im Abfluss, Schmutz um die Toilette.
Traurig. Donnerstag, 15.45 Uhr und das Einzige, was er mit sich anzufangen wusste, war, seine Wohnung zu putzen. Wenn er nicht aufpasste, würde er bald ein weißes Unterhemd tragen, sich ein Kissen ins Fenster legen und die Nachbarn bespitzeln.
Die Leere zerrte an seinen Nerven. Dabei hatte er in den vergangenen drei Wochen mehr sozialen Kontakt gehabt, als er gewohnt war.
Brain hatte ihn angerufen und gefragt, ob er ihn ins Kino begleiten wollte. Dafür war Andreas nicht bereit gewesen, sodass er die Einladung ausschlagen musste. Mandy kam gleich zwei Mal zu Besuch. Auf der Arbeit hatte er sich unerwartet in einem angeregten Gespräch mit einer Dame von einer der Pflegestellen wiedergefunden. Sie hatten sich so nett unterhalten, dass er den Bus verpasste.
Es ging voran, das ließ sich nicht bestreiten. Aber es war sowieso schwer, etwas zu leugnen, das Köninger ihm dauernd aufs Brot schmierte.
Andreas war trotzdem nicht mit sich zufrieden. Er holte ein frisches Schwammtuch aus dem Unterschrank und betrachtete es einen Augenblick versonnen, bevor er es wütend in die Badewanne schleuderte. Schade, dass Schwammtücher nicht gequält ächzen konnten.
Mit hängenden Schultern schlich er ins Wohnzimmer, bog um die Ecke zu seinem Schreibtisch und schielte beschämt auf den Monitor.
Das Mailprogramm war offen. Es war in letzter Zeit immer offen. Er ertappte sich dabei, dass er minutenlang auf den Posteingang starrte und hoffte. Einmal am Tag wurde seine Mühe belohnt, und eine E-Mail sprang ihm entgegen. Meistens leer bis auf einen Punkt, zwei Mal mit einem knappen »Miss you« versehen. Post, die Herzrasen verursachte und für eine Sekunde glücklich machte, bevor Angst und Zweifel sich nachdrücklich ins Gedächtnis riefen.
Er vermisste Sascha auch. Meistens ärgerte er sich deshalb. Über sich selbst, über Sascha, über die Sackgasse, in der er steckte. Manchmal, weil er nicht normal funktionierte und sich nicht nahm, was ihm fehlte.
Sascha wollte. Er wollte so sehr, dass er sich nicht zu dumm war, ihm täglich leere E-Mails zu schicken.
Andreas fand seine eigene Feigheit schrecklich. Es war nicht schön, nachts wach zu liegen und sich von einer hämischen Stimme einflüstern zu lassen: »Du musst nicht allein sein. Du könntest ihn bei dir haben. Stell dir vor, wie anders dieser Abend verlaufen wäre, wenn du dich nur trauen würdest. Wunderbarer Sex,
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