Nach der Hölle links (German Edition)
statt allein an dir herumzuspielen. Mit ihm reden und ihm erzählen, dass du einen richtig guten Tag gehabt hast. Du könntest dich von hinten an ihn kuscheln und dir von ihm berichten lassen, wie es ihm geht. Er würde neben dir leise atmen, während du einschläfst. Aber nein, du musst dir ja in die Hose machen und alles aufgeben, was gut für dich ist.«
Dem folgte eine Litanei an Ängsten und Fragen, auf die er keine Antwort fand. Ob Sascha inzwischen wusste, auf was er sich einließ? Ob er sicher und bereit war, auf sich zu nehmen, wer Andreas war und immer bleiben würde? Ob Sascha zu hohe Erwartungen an ihn hatte?
Die Liste ließ sich endlos fortsetzen.
Melancholie legte sich bleiern um Andreas’ Schultern, als er seinen Platz am PC verließ und ins Schlafzimmer ging. Gelangweilt ließ er sich in die Kissen fallen und wandte den Blick zum Fenster. Ohne sich dessen bewusst zu sein, strich seine Hand über die weiche Bettdecke. Er hatte sie nicht abgezogen, seit Sascha bei ihm übernachtet hatte. Es war inzwischen mehr als nötig, aber er wollte nicht.
Draußen trieben graue Riesengebilde unschuldige Schafswolken über den Himmel. Nicht mehr lange, und der Herbst würde Einzug in Norddeutschland halten. Normalerweise mochte Andreas die Vorstellung der länger werdenden Nächte, des bunten Laubs und erdigen Geruchs, der im Herbst über den Parks lag. Dieses Jahr bezweifelte er, dass er sich daran erfreuen würde. Bei seinem Glück würde es auf einen verregneten, nass-grauen Herbst hinauslaufen, in dem beim ersten Sturm alles Blattwerk von den Bäumen gefegt wurde, um innerhalb kürzester Zeit in der Kanalisation zu verschwinden.
Gegen Stürme und Gewitter hatte Andreas nichts. Er sah dem Tosen der Elemente gern zu, wenn er nicht gerade unter dem einzigen Baum auf weiter Flur stand. Es konnte gemütlich sein, mit einem Bier und einer Packung Popcorn faul auf dem Sofa zu liegen, während draußen die Welt unterging. In seiner hoch gelegenen Wohnung fühlte er sich wie auf einer Arche. Selbst wenn die Speicherstadt hüfthoch unter Wasser stand und die Autos waghalsiger Anwohner abtauchten, brauchte er sich keine Sorgen zu machen, solange der Kühlschrank voll war.
Nur der Gedanke an endlos lange Herbst- und Winterabende machte ihm plötzlich Sorgen. Mit jedem Tag wuchsen in ihm Sehnsüchte heran. Bisher hatten sie ein Schattendasein in seinem Hinterkopf gefristet. Jetzt wurden sie in allen Belangen konkret.
Er wünschte sich nicht länger einen namenlosen Freund, mit dem er Zeit verbringen konnte. Er wünschte sich, nach einem Restaurantbesuch frierend mit Sascha über von Glatteis heimgesuchte Straßen zu stolpern und mit kalten Zehen zusammen ins Bett zu kriechen. Er stellte sich vor, abgekämpft nach Hause zu kommen und dort eine auf ihn wartende Badewanne vorzufinden. Heißes Wasser, dezent riechender Badezusatz, der die Muskeln entspannte, dazu am besten eine Tasse Kakao mit mehr Sahne, als ein Ernährungsberater gutheißen konnte.
Darüber hinaus wollte er stark sein dürfen. Er wollte sich nicht wie ein Verräter vorkommen müssen, weil er wusste, dass Sascha Familienprobleme hatte und er selbst trotzdem auf eine Sendepause bestand. Viel lieber wollte er Sascha zu sich holen, ihm das Handy abnehmen, die Schultern massieren und zu verstehen geben, dass er locker lassen durfte.
Zu schön, um wahr zu sein. So viele Träume, die nicht sein konnten. So viel, das er geben wollte.
Verfluchter Sascha. Mit ihm war Verbotenes aus den Trümmern auferstanden. Er hatte ihn daran erinnert, dass die meisten Menschen sich Beziehungen wünschten und nicht allein sein wollten. Andreas hatte vergessen, wie wichtig es war, sich auf jemanden zu freuen.
Vielleicht war er bereit. Vielleicht musste er über seinen Schatten springen. Vielleicht würde es sich lohnen.
Er schloss die Augen und versuchte es sich auszumalen.
Jeden Moment könnte das Telefon klingeln. Sascha am anderen Ende der Leitung: »Hey, ich bin in der Gegend. Bist du zu Hause?« Oder er würde ohne Anmeldung vor der Tür stehen. Grinsend, mit in den Bund der Hose gehakten Daumen, als wäre er bereits im Begriff, sie von den Hüften zu streifen. Andreas könnte ihn von der Uni abholen. Oder sie setzten sich am Wochenende in die Bahn und fuhren aus der Stadt heraus. Triton könnte sie begleiten und sich unterwegs austoben.
Gemeinsam frühstücken wäre schön. Entweder in den eigenen vier Wänden oder als Brunch. Sascha war schon immer gefräßig
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