Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nach der Hölle links (German Edition)

Nach der Hölle links (German Edition)

Titel: Nach der Hölle links (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raik Thorstad
Vom Netzwerk:
nervös.
    Dumm nur, dass er dann ein weiteres Wochenende trostlos von einem Raum in den nächsten tapsen und Sascha vermissen würde. Und wer wusste schon, wann er das nächste Mal den Mut fand – oder durchgedreht genug war –, um ihm einen Besuch abzustatten?
    Mühsam sammelte Andreas seine Kraft und zwang sich, das weiche Gefühl in den Knien zu ignorieren. Die ersten Schritte die Einfahrt hinauf waren am schwierigsten. Sie brachten die Vorstellung mit sich, noch vor der Haustür auf die Nase zu fallen und nicht mehr aufstehen zu können. Aber damit kannte Andreas sich aus. Seine Angst wollte ihn wieder einmal verführen. Ein alter Trick, dem er innerlich störrisch den Mittelfinger zeigte.
    Als er sich dem zurückgesetzten Gebäude näherte, erinnerte er sich, dass er als Kind davon geträumt hatte, hier zu leben. Das gemütliche Hexenhaus passte nicht in die gediegene Wohngegend. Es war kleiner als die umliegenden Villen, weniger protzig und mit seinem wilden Garten ungemein einladend. Efeu durfte über die Wände kriechen, unter dem Dachfirst saßen verlassene Vogelnester. In einem Dickicht aus ineinander verwachsenen Knöterichpflanzen stand ein halb verwitterter Strandkorb. Eine freundliche Umgebung. Nicht zuletzt, weil unter der Steinbank an der Seite Skateboards, Turnschuhe und Inlineskates übereinander fielen. Ein Ort zum Ankommen und Leben.
    Zittrig atmete Andreas aus und trat an die Tür, klingelte. Erschrak sich vor dem lauten Geräusch und sah nervös über seine Schulter. Glücklicherweise war die Buchsbaumhecke zum Grundstück seiner Eltern hoch und dicht. Man würde ihn nicht sehen.
    Als Andreas Schritte hörte, wollte er fort. Er fragte sich, ob es machbar war, aus der Einfahrt zu sprinten, bevor die Tür sich öffnete. Was, wenn es Sascha war? Was, wenn es nicht Sascha war?
    Halt suchend griff er um sich, bemerkte die Geste und ballte die Hand zur Faust. Zusammennehmen. Jetzt. Beten, dass Sascha nicht da war und er sich schnell aus der Affäre ziehen konnte. Warum hatte er überhaupt geklingelt? Ob das Taxi noch in der Nähe war? Vielleicht war der Fahrer stehen geblieben, um eine Zigarette zu rauchen oder Mittagspause zu machen.
    Die Tür öffnete sich und gab den Blick auf Saschas Tante frei. In einer Hand hielt sie Bratsche und Bogen, mit der anderen mühte sie sich, ihre in Auflösung befindliche Haarpracht aus dem Gesicht zu zwingen.
    »Ja?«, grüßte sie abwesend, bevor sie etwas genauer hinsah. Daraufhin weiteten sich ihre Augen und ein Lächeln vertiefte die feinen Lachfalten um ihren Mund. »Andreas. Schön dich zu sehen.«
    Sie erinnerte sich an ihn. Irgendwie fand Andreas das tröstlich. Auch, dass sie ihm entgegen lächelte und nicht skeptisch dreinblickte, beruhigte ihn.
    »Hallo …«, krächzte er verlegen und senkte den Blick. »Ich …« Er flüchtete sich in gute Manieren. »Ja, lange nicht gesehen. Sie sehen gut aus. Und das Haus … das Haus auch.«
    »Danke für die Blumen, aber das Haus ist ein Schweinestall. Und ich kann mich nicht erinnern, dass du mich früher gesiezt hast«, grinste Tanja breit, bevor sie in den Flur trat und ihm einladend zuwinkte. »Komm herein. Ich bin mir sicher, du willst nicht zu mir. Weißt du, wo Saschas Zimmer ist?«
    »Ehm … nein.«
    »Ach richtig, woher auch? Die Treppe hoch und dann links den Flur entlang. Erste Tür. Und falls du unterwegs etwas hörst, das klingt, als würde etwas sterben, dann bin ich das. Hindemiths Schwanendreher . Ich vermute, er hat dem armen Tier wirklich den Hals umgedreht.« Sie hob vielsagend die Bratsche und zog sich mit einem aufmunternden Lächeln zurück.
    Andreas sah ihr hinterher und verspürte den Drang, ihr nachzulaufen. Sie konnte ihn doch nicht allein nach oben schicken. Er brauchte Schützenhilfe. Oder wenigstens jemanden, der ihm einflüsterte, was er zu Sascha sagen sollte! Er schluckte schwer, kämpfte den idiotischen Impuls nieder. Im ersten Stock des Hauses war derjenige, den er sehen wollte. Den er nicht aus dem Kopf bekam. Also sollte er verdammt noch mal seinen Hintern in Bewegung setzen und hochgehen.
    Die Treppe kam Andreas endlos lang und ungewohnt steil vor. Jede Stufe wollte Widerstand leisten und ihm raten, umzudrehen.
    Warum eigentlich? Er besuchte einen Freund. Es war das Selbstverständlichste auf der Welt, einen guten Freund zu Hause zu besuchen. Gar nichts dabei. Die Kleinigkeit, dass sie bei ihrer letzten Begegnung miteinander im Bett gelandet waren, war nur eine Komplikation.

Weitere Kostenlose Bücher