Nach der Hölle links (German Edition)
wiederkommen und brauchte keinen.
Einen heißen, drängenden Augenblick lang schrien seine Füße danach, kehrtmachen zu dürfen. Rennen. Fort von dem Haus, zurück in den Schutz der eigenen Wohnung.
Warum hatte er sich dagegen entschieden, seine Mutter zu sich zu bitten, um mit ihr zu sprechen? Richtig, weil er Sorge hatte, dass er sie nicht aus seiner Wohnung bekommen würde, nachdem er sich geoutet hatte. Dass sie ihn anschrie und er sagen musste: »Ich will, dass du gehst.«
Andreas schluckte. Wie in Zeitlupe senkte sich sein Daumen auf die Klingel. Ein zittriges Luftholen, ein letztes Sammeln, dann drückte er.
Die Zeit, die es brauchte, bis er von innen schnelle Schritte hörte, erschien ihm endlos. Das Öffnen der Tür brachte Andreas unerwartete Erleichterung. Nicht die neue Haushälterin war es, die ihm entgegen sah, sondern seine Mutter. So war der erste Satz, den er nach Jahren, in denen er sein Zuhause nicht betreten hatte, herausbrachte: »Oh, du machst selbst auf?«
Margarete von Winterfeld trug einen bodenlangen Rock mit einem viel zu dicken Strickpullover. Ihre Züge wiesen eine frische Bräune auf, die einen so runden Farbton hatte, dass sie nur der Sonne entstammen konnte. Darüber hinaus wirkte seine Mutter abgespannt und mager wie eh und je, als sie ihm mit einem stetig wechselnden Gefühlsspiel im Gesicht entgegen sah. Ihr Lächeln war gezwungen. »Ja, hier hat sich einiges verändert. Carola ist nur morgens im Haus. Komm … komm doch rein, ja?«
Sie war nervös – und für einen Moment hasste Andreas sie dafür, weil es in dieser Situation an ihm war, nervös zu sein. Er betrat seinen alten Käfig, er musste etwas preisgeben, was sie im schlimmsten Fall von den Füßen hauen würde.
Andreas kämpfte seinen Widerwillen nieder und betrat den Flur. Der vertraute Geruch der Villa war erdrückend. Die Ausdünstungen eines Hauses, das wenig bewohnt, aber sehr pfleglich gereinigt wurde. Mehr Zitrusduft von den Putzmitteln als Essensausdünstungen.
»Möchtest du deine Jacke aufhängen? Willst du dich umsehen? Wollen wir uns in die Bibliothek setzen oder ins Wohnzimmer?«
Margaretes Stimme klang alt, fiel Andreas auf. Teure Cremes und erstklassiges Make-up verhinderten, dass sie im Gesicht schlecht aussah. Aber das dünne Fisteln, das sich summend unter jedes ihrer Worte legte, war das einer alten Frau.
»Bibliothek«, sagte er nach kurzer Überlegung. Seine Jacke brauchte er nicht auszuziehen. Er würde nicht lange bleiben. Und nein, er wollte sich nicht umsehen.
Margarete nickte allzu begeistert. Sie ließ ihren Sohn vorgehen. Im Inneren des dunklen Zimmers angekommen, fragte sie weiter: »Möchtest du etwas trinken? Oder essen? Ich könnte uns …«, sie hielt inne und schien angestrengt nachzudenken, »… etwas Eintopf aufwärmen. Mit Würstchen.«
In einer anderen Situation hätte Andreas eine Bemerkung darüber gemacht, dass seine Mutter ihn bekochen wollte – und dann auch noch mit deftigem Essen. Heute hatte er keinen Raum für Gedanken dieser Art. Er ließ sich in einen frei stehenden Sessel fallen und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Nein. Ich bleibe nicht lange. Ich will nur etwas mit dir besprechen«, sagte er hart. Sein bissiger Tonfall überraschte ihn selbst; nicht zuletzt, da seine Mutter zusammenzuckte, als hätte er nach ihr getreten. Er bemühte sich um steife Freundlichkeit, während er hinzufügte: »Du bist gerade zurückgekommen, ja? Wo warst du denn dieses Mal?«
Margarete näherte sich dem gewaltigen Schreibtisch an der Fensterfront der Bibliothek, verharrte mit dem Rücken zu Andreas und ließ sich schließlich auf einen niedrigen Hocker sinken. Sie erschien ihm wie ein armes Sünderlein, und er fragte sich, was sie von ihm erwartete. Ihre Knie wollten zittern, und sie presste sie aneinander.
Merkwürdig, dass sie Angst hatte und er … Er hatte auch Angst, aber seltsamerweise hatte Andreas den Eindruck, sich weniger zu fürchten als seine Mutter.
»In Berchtesgaden. In der Nähe jedenfalls«, sagte sie mit einem spröden Lächeln. »Nette Gegend.«
Andreas wollte keinen Small Talk halten, zwang sich dennoch zu fragen: »Es hat dir also gefallen?«
Margarete zuckte die Achseln und betrachtete ihre Hände. »Schöne Landschaft. Sehr ruhig. Und die Leute waren auch ganz nett. Aber wie sehr kann es einem schon gefallen, wenn man jeden Tag gesagt bekommt, dass man ordentlich essen soll und dass die Finger, die einem dick vorkommen, in Wirklichkeit zu
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