Nach der Hölle links (German Edition)
auf dem nächsten. Dazwischen türmten sich Mitschriften von Kommilitonen und eigene Notizen. Kopien hier, ein Auszug aus einem frühen Psychologiebuch da. Kaugummieinwickelpapiere als Lesezeichen, ein Becher Kaffee, in dem die Milch geronnen war.
Das Chaos auf seinem Schreibtisch war nicht der Grund für Saschas Gereiztheit. Viel mehr war es die lange Trennung von Andreas, die ihn zermürbte. Vier Tage konnten die Welt sein, wenn man sich angewöhnt hatte, viel Zeit miteinander zu verbringen. Ihre gestrige Verabredung zum Essen war geplatzt, weil Triton die Wohnung vollgekotzt hatte, Andreas nicht wusste, warum und ihn deshalb nicht allein lassen wollte.
Sascha lehnte sich zurück und hob die Arme über den Kopf. Seine Schultern waren verspannt und schrien nach einer zärtlichen Nacht im Bett. Nach trägem Miteinander, ziellosen Berührungen und einer Matratze, die wahrscheinlich teurer gewesen war, als Saschas gesamte Zimmereinrichtung.
An Tagen wie diesen fragte er sich, wie Tanja mit der andauernden Trennung von ihrem Ehemann zurechtkam. Aiden war am Ende des Sommers für drei Wochen zu Hause gewesen, bevor sein Orchester erneut auf Tour ging. Dieses Mal würde es zwei Monate dauern, bis er nach Deutschland zurückkehrte. Dagegen schien Saschas knurriges Gebaren über läppische vier Tage Abstinenz lächerlich.
Abwesend rieb er sich am Unterarm, wo Tritons scharfe Afterkralle beim Spielen einen Kratzer hinterlassen hatte. Sascha hatte den gigantischen Hund schnell ins Herz geschlossen. Er war dennoch froh, dass nicht er es war, der in der Hundeschule eine Grundsatzdiskussion nach der anderen hinter sich bringen musste. Trotzdem, heute grollte er Triton, weil er ausgerechnet gestern seinen Mageninhalt durch Andreas’ Küche verteilt hatte.
Sascha kam es vor, als hätte er Entzugserscheinungen. Dabei konnte er nicht behaupten, dass er sich langweilte. Verabredungen mit Katja, Isa, Brain und anderen Freunden, Vorlesungen, Lernen, Schwimmtraining, Tanja im Garten aushelfen und spontane Partys füllten seinen Alltag nach wie vor aus.
Nur hatte er sich in Windeseile daran gewöhnt, einen ordentlichen Batzen Zeit für Andreas zu reservieren; besonders die Abende und Nächte. Er vermisste Andreas schnell, wenn sie sich nicht sehen konnten. Und das fühlte sich bei genauerer Betrachtung gut an, denn zu jedem Vermissen gehörte ein Wiedersehen.
Mit diesem Gedanken im Hinterkopf fiel es Sascha leichter, sich auf seine Bücher zu konzentrieren. Er schob die Finger seitlich in die Haare, als müsse er seinen Schädel stützen, und zwang den Blick auf seine Mitschriften. Das Schicksal wusste diesen Lerneifer zu schätzen, denn nicht viel später gab Saschas PC einen leisen Pfeifton von sich und ließ ihn aufblicken.
Andreas war online.
Jedes Mal, wenn sie über das Web miteinander sprachen, war Sascha nostalgisch zumute. Es erinnerte ihn an ihre Anfänge – und an seine Dankbarkeit, eine zweite Chance erhalten zu haben.
Ohne sich bezähmen zu können, schnappte er die Tastatur, zog sie auf seinen Schoß und tippte: »Hey, du. Du bist heute ja fix. War Köninger gnädig oder hast du ihn sitzen lassen?«
»Weder noch. Schau mal auf die Uhr. Und nee, gnädig war er sicher nicht.«
Die Antwort kam schnell, in Kleinbuchstaben und enthielt mehr Tippfehler als üblich. Ein sicheres Zeichen, dass Andreas aufgewühlt war.
Sascha setzte sich zurecht und runzelte die Stirn. Wartete. Er wusste, dass Andreas ihm von selbst sagen würde, was los war. Darauf war es in den vergangenen Wochen immer hinausgelaufen. Das Vertrauen ehrte ihn.
»Es ist bei jeder Sitzung der gleiche Text. Ich soll Kontakt zu meinen Alten suchen. Ich soll mit ihnen reden, ihnen eine Chance geben. Blablabla. Und vor allen Dingen soll ich ihnen von uns erzählen und ihnen sagen, dass ich schwul bin. Ich meine, was soll das denn? Es hat sie doch nie irgendetwas interessiert, was mich anging, was geht es sie jetzt an, wen ich ficke?«
Darauf hätte Sascha viel erwidern können. Kluge Antworten, Belehrungen, Ratschläge, die von der Essenz seines Studiums durchzogen waren. Seine menschliche Hälfte wollte Andreas hingegen raten, seine sexuelle Orientierung für sich zu behalten. Zu sehr schmerzte es, wenn die Eltern oder auch nur ein Elternteil sich daran stießen. Aber er wusste, dass es der falsche Rat wäre. Es ging nicht um Andreas’ Eltern oder sein Verhältnis zu ihnen. Es ging um Andreas. Um seine Freiheit, um sein Gefühl, der Welt offen und
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