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Nach der Hölle links (German Edition)

Nach der Hölle links (German Edition)

Titel: Nach der Hölle links (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raik Thorstad
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Klavierunterricht und darf nur die halbe Arbeit im Haus an Carola abgeben. Für den Garten bin ich selbst verantwortlich. Das soll gut für mich sein. Selbst kochen. Ausflüge. Sport. Das Leben genießen lernen. Aber sie fragen nicht nach dem Preis. Richard quält sich mit meinem Vater in der Firma und du … du quälst dich auch. Alles meine Schuld. Weil ich nicht sehen wollte, dass ich krank bin und all das an dich weiterreiche.«
    Schwach hob Andreas die Hand. Der Ausbruch war zu viel für ihn. Die fremde Schuld, die auf ihn einstürzte und seinem eigenen Ärger den Nährboden entzog, überforderte ihn. Seine Mutter sollte sich nicht vor seinen Augen zerfleischen. Er brauchte ihre Beichte nicht – schon gar nicht die Last ihrer Probleme.
    Alles, was er gewollt hatte, war, sich zu outen. Weder wollte er die Familiengeschichte aufrollen noch in die Abgründe seiner Mutter starren.
    Mutter. War sie das je gewesen? Karrierefrau, Hausbesitzerin, Erbin war sie gewesen. Aber Mutter? Jetzt war sie es sicherlich auch nicht, da sie vor ihm zusammenbrach und ihre Dämonen vor ihm ausschüttete.
    »Deshalb ist Ivana gegangen?«, fragte er lahm.
    Margarete wischte sich die Tränen ab und sprudelte hervor: »Ja und nein. Das kann ich dir nun auch erzählen. Du warst in der Klinik. Dein Vater und ich haben gestritten. Er wollte Dr. Schnieder verklagen. Ich wollte, dass du nach Hause kommst. Keiner von uns wollte wahrhaben, dass es nötig ist. Ivana hat uns gehört und uns zum ersten Mal die Meinung gesagt. Danach hat sie um ihre Kündigung gebeten. Sie hat sich vor uns geekelt, glaube ich. Da stand ich in meiner teuren Kleidung, mit meinen manikürten Fingernägeln, meiner 200-Euro-Frisur und meinem Diamantring am Finger und musste einsehen, dass meine schlichte, brave Haushälterin von mir angewidert ist und auf mich herabblickt. Ich dachte, so etwas gibt es nur im Fernsehen.«
    »Und Papa?«, fragte Andreas tonlos dazwischen. »Lasst ihr euch scheiden?«
    Diese Vorstellung machte ihm Angst. Nicht zuletzt, weil er fürchtete, dass seine Mutter in diesem Fall versuchen würde, engeren Kontakt zu ihm aufzubauen. In ihrer aktuellen Verfassung konnte er sich vorstellen, worauf das hinausliefe: Sie würde ihn zu ihrem Seelenmülleimer machen und ihm jeden Tag unbewusst einflüstern, dass er ein schlechter Sohn war, wenn er sie nicht unterstützte. Die Saat würde aufgehen. Jede Saat, die beinhaltete, dass Andreas nicht gut genug war, ging bei ihm auf.
    »Ich weiß es nicht«, flüsterte Margarete. »Solange ich nicht weiß, wer ich bin, kann ich keine Entscheidungen fällen. Ich glaube, ich verstehe nicht einmal, wie eine Ehe funktionieren sollte. Er fehlt mir. Aber ob wir gut füreinander sind, weiß nur der Himmel. Da ist ein weißes Haar auf deinem Hemd.«
    Der letzte Satz kam so unerwartet, dass Andreas befürchtete, seine Mutter hätte vor seinen Augen die Grenze zur Psychose überschritten. Erst, als er an sich herabsah, bemerkte er eins von Tritons langen Schwanzhaaren auf der Brust.
    »Das ist von meinem Hund«, erklärte er flach. »Er ist im Fellwechsel, glaube ich.«
    »Du hast einen Hund?«, hakte Margarete kindlich nach. »Das ist ja schön. Vielleicht sollte ich mir auch einen Hund zulegen, was meinst du? Das Haus ist groß genug, und der Garten ist doch wie geschaffen für Hunde. Wir könnten zu viert spazieren gehen. Wäre das nicht schön?«
    Auf einmal war sie ihm unheimlich. Andreas wurde auf niederschmetternd eindringliche Weise bewusst, dass seine Mutter nie eine Konstante in seinem Leben gewesen war und nie sein würde. Er konnte nicht beurteilen, ob ihre eigene Kindheit und der frühe Tod ihrer Mutter damit zusammenhingen oder ob sie nach einer Rechtfertigung suchte. Er wusste nur, dass er Bruchstücke sah. Eine Kindfrau, die alterte. Nichts passte zusammen – und er konnte ihr nicht helfen, ohne selbst Schaden zu nehmen.
    »Ja. Vielleicht«, murmelte er und stand so ruckartig auf, dass seine Mutter zusammenfuhr. »Aber ich muss jetzt los. Ich bin verabredet. Du weißt Bescheid.« Er kam sich unsagbar dumm vor.
    »Ja, ich … grüß deinen Freund. Und ruf doch mal an, ja? Bitte? Unser Metzger hat übrigens auch immer Schlachtabfälle und Knochen für die Hunde. Soll ich da was mitbringen? Wie heißt er eigentlich? Und …«
    Sie redete auf ihn ein, bis er an der Tür war. Fast fürchtete er, sie würde ihre Krallen in seinen Arm schlagen und ihn zurückhalten, als er sich fluchtartig von ihr verabschiedete.

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