Nach der Hölle links (German Edition)
Erkenntnis war es fast leicht, in den Bus zu steigen und nach Hause zu fahren.
* * *
Sascha saß mit dem Rücken an die Flurwand gelehnt und hatte das Gesicht zwischen den Knien vergraben. Für einen verrückten Augenblick fragte Andreas sich, ob sein Freund eingeschlafen war. Dann bemerkte er das unwillkürliche Heben und Senken der Schultern, hörte neben seinen Schritten auf den Holzstufen die unterdrückten Laute.
Die Konfrontation mit seinem Vater machte Andreas langsam im Kopf. Dankbarkeit über Saschas Anwesenheit vermischte sich mit Müdigkeit, bevor er realisierte, was vor sich ging. Sascha weinte. Saß im Hausflur neben seiner Tür und weinte.
Stumpfe Sekunden verstrichen, in denen Andreas sich dumm vorkam. Ihm war klar, dass er etwas tun musste, und zweifelte daran, ob er es konnte. Da war so viel Druck in seinem Nacken, so viel Erlebtes, so viele ungeordnete Gedanken. Dann schlug in seinem Inneren ein Impuls aus und setzte sich innerhalb kürzester Zeit gegen alle anderen Empfindungen durch.
»He, was machst du denn hier?«, flüsterte er, während er sich neben Sascha in die Knie sinken ließ. »Ist etwas passiert?«
Dämliche Frage, natürlich war etwas passiert. Sein Freund war nicht der Typ, der wegen nichts in Tränen ausbrach.
Hände griffen nach ihm, legten sich auf seinen Unterarm. »Gott … bin ich froh, dass du da bist.«
Als Sascha aufsah, erschrak Andreas. Seine Augen waren nicht nur verweint, sondern bereits geschwollen. Um die Lippen hatten sich Rötungen gebildet, die Wangen blühten, als wären sie im Begriff, einen Ausschlag auszubilden. Ein mattes Lächeln zwang sich zum Vorschein, wurde aber sofort zerstört, als Sascha darum kämpfte, die Haltung zurückzugewinnen. Seine Anstrengungen sahen furchtbar aus.
Unsicher rang Andreas die Hände, wusste nicht, wie er sich verhalten sollte. War überfordert und wund im Inneren.
Sein Blick fiel auf die Wohnungstür, aber er brauchte zwei weitere Atemzüge, bevor ihm der Gedanke kam, dass sie drinnen besser aufgehoben waren. Egal, was vorgefallen war, auf der Couch würde es ihnen besser gehen.
Sie kamen nicht bis ins Wohnzimmer. Kaum, dass sie die Wohnung betreten hatten, stürzte Sascha auf Andreas zu und umarmte ihn. Rippen stöhnten, als sie zusammen zu Boden sackten. Andreas prellte sich schmerzhaft das Steißbein, während Sascha Anstalten machte, in ihn hineinzukriechen. Dagegen hatte er nichts einzuwenden. Vielmehr brauchte er die innige Umarmung dringend selbst.
Es waren lange, aufreibende Minuten, in denen sie aneinander geklammert auf dem Parkett kauerten und ihre Finger verzweifelt über warme Haut tasteten. Andreas’ Anspannung wollte nicht weichen, solange er nicht wusste, was mit Sascha nicht stimmte.
Als dieser keine Anstalten machte, es ihm zu erklären, murmelte er: »Komm schon. Was ist los? Du machst mir Angst.«
Ein ersticktes, niederschmetterndes Lachen antwortete ihm: »Brauchst keine Angst haben. Ich bin einfach nur ein Idiot. Das ist alles.« Sascha hob den Kopf und versuchte, Andreas ins Gesicht zu sehen. »Erzähl erst einmal, wie es bei dir gelaufen ist. Was hat dein Vater gesagt?«
»Das ist doch jetzt total egal. Mein Kopf ist noch dran, wie du siehst. Spuck’s aus. Was ist mir dir?«, drängte Andreas. Kälte schien ihm über den Rücken zu streichen. Ängste wollten ihn vereinnahmen. Sascha weinte nicht, weil er sich von ihm trennen wollte, oder? Bitte nicht …
»Nichts. Sage ich doch. Nur das Übliche. Ich dachte mir gestern nach deinem Besuch, es wäre eine gute Idee, noch einmal mit meiner Mutter zu reden.« Andreas schwante Übles. »Ich meine, es ist eben nicht so leicht. Für niemanden. Also dachte ich, ich nehme mir an dir ein Beispiel und versuche, es mit ihr zu klären. Noch ein letztes Mal …«
Nasse Hände legten sich um Andreas’ Gesicht und zogen es dicht an Saschas Schulter. Es war, als wolle er verhindern, dass sie sich in die Augen sahen.
»Es ist vorbei«, flüsterte Sascha angestrengt. »Die Sache ist durch. Sie …«, er fasste sich, »sie hat gesagt, was sie angeht, ist Katja ein Einzelkind und hat keinen Bruder.«
Andreas hörte sich aufstöhnen. Viel zu hart legte er Sascha den Unterarm in den Nacken und presste ihn an sich. Streichelte ihn. Summte ihm schiefe Töne ins Ohr. Ließ es zu, dass sie in die Horizontale rutschten. Schüttelte abwehrend den Kopf, als Triton an sie heranschlich und ihn begrüßen wollte. Der große Hund legte den Kopf schräg und ließ sich
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