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Nach der Hölle links (German Edition)

Nach der Hölle links (German Edition)

Titel: Nach der Hölle links (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raik Thorstad
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Augen, die sein Sohn von ihm geerbt hatte, trüb.
    »Andreas!«
    Es war ein Ausruf reiner Überraschung; gepaart mit etwas anderem, das Andreas nicht zuordnen konnte. Dafür war er zu nervös.
    Er nickte knapp. »Hallo Papa. Hast du einen Moment Zeit? Ich muss mit dir reden.«
    Die fest erwartete Ablehnung kam nicht. Dafür ein Griff an den ohnehin locker sitzenden Krawattenknoten.
    »Geht es um deine Mutter?«, fragte Richard hastig. Er verschränkte die Hände über dem Bauch. »Es war nicht meine Entscheidung, musst du wissen. Ich bin nicht freiwillig ausgezogen.«
    Die beige gestrichenen Wände des Büros mit den Drucken abstrakter Kunst über dem Schreibtisch drohten Andreas die Luft abzuschnüren. Er war früher schon hier gewesen. Viel hatte sich nicht verändert. Selbst der Geruch löste dasselbe staubige Kratzen in seiner Nase aus, das sich so gar nicht mit der Produktion von leckeren Milcherzeugnissen vereinbaren ließ. Und da war Ärger. Die erste Frage galt seiner Mutter. Typisch. Hauptsache, es ging nie um ihn.
    »Ich habe gestern mit ihr gesprochen«, sagte er heiser und zwang sich, das Kinn nicht sinken zu lassen. »Sie hat es mir gesagt. Darum geht es nicht.«
    Richard sackte tiefer in seinen Chefsessel, wirkte beruhigt. Sah klein aus. Wann hatte Andreas ihn an Körpergröße übertroffen? Es musste vor Jahren geschehen sein, doch es war ihm nie aufgefallen, weil sein Vater ihm immer groß und mächtig vorgekommen war. Jetzt wirkte er klein – und das half.
    »Ja … gut«, Richard sammelte sich und deutete auf den freien Platz gegenüber seinem Schreibtisch. »Setz dich doch. Soll Frau Schwarz dir einen Kaffee bringen?«
    Stumm schüttelte Andreas den Kopf und furchte die Brauen. In Windeseile legte Richard seine Überraschung zu den Akten und fand zu seiner selbstverständlichen Gelassenheit zurück. Die Hände lösten sich vom Bauch und fanden auf die Tischplatte. »Kein Kaffee? Dann schieß mal los.«
    Andreas konnte nicht. Was ihm am Vortag bei seiner Mutter mit Startschwierigkeiten über die Lippen gekommen war, saß fest. Er spürte den wachsamen Blick auf sich lasten und fragte sich, welche Mitteilung sein Vater erwartete. Dass er gesund war und demnächst in die Firma eintreten würde? Oder erwartete er gar nichts mehr von seinem Sohn und konnte deshalb gelassen sein?
    Ich habe keine Ahnung, wer du bist, dachte Andreas bitter. Ich habe keine Ahnung, was auf mich zukommt. Ich habe Angst.
    Er sprach zu einem Fremden, mit dem er neunzehn Jahre lang in einem Haus gelebt hatte. Das sollte ihm helfen. Es war nicht wichtig, wie sein Vater reagierte. Er hing nicht von ihm oder seiner Wertschätzung ab.
    Weil Andreas nicht unverrichteter Dinge gehen wollte und Angriff die beste Verteidigung war, trieb er seine verstockte Zunge vorwärts und sagte barsch: »Was ich dir zu sagen habe, wird dir vermutlich nicht gefallen.«
    »Oh. Hast du finanzielle Probleme?«
    »Was? Nein! Natürlich nicht.« Was für ein irrsinniger Gedanke. Wo sollte er schon Geld ausgeben? In Las Vegas? »Nein, es geht um etwas anderes. Du kannst mich hinterher auch gern rausschmeißen. Ist ja nicht so, als ob ich freiwillig in diesen Bau komme«, setzte Andreas nach. Den Seitenhieb auf die Firma konnte er sich nicht verbeißen. Und dann kam das, was er bei seiner Mutter hatte sagen wollen und nicht geschafft hatte, kristallklar über seine Lippen: »Ich bin schwul. Und nein, das hat nichts mit meiner Krankheit zu tun.«
    Die Zeit schien einzufrieren. Plötzlich atemlos musterte Andreas das Gesicht seines Vaters, wartete auf eine Regung, auf das Anschwellen der Stirnader, auf den Wutausbruch. War da ein Zucken im Mundwinkel, das sich zu angewidert verzogenen Lippen ausdehnen mochte? War da ein Blinzeln, das die nahende Explosion ankündigte?
    Nein, alles stand still. Das erklärte, warum er nicht atmen konnte. Er musste warten. So lange, bis Andreas begriff, dass nicht die Zeit angehalten hatte, sondern sich im Gesicht seines Vaters wirklich nichts tat. Er starrte in eine gelassene Maske, die keinerlei Reaktion nach außen dringen ließ. Da war … nichts. Das Nichts tat weh.
    Schließlich durchbrach Richard von Winterfeld das Schweigen. Er klang geschäftsmäßig. »Gut, dann ist das eben so, nicht wahr? Ich denke, du bist dir deiner Sache sicher.«
    »Ja, natürlich«, entgegnete Andreas lahm. Das Undurchdringliche bereitete ihm Herzrasen. Er wartete auf den großen Knall, auf den kühlen Rauswurf.
    »Schön, schön. Der Chef

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