Nach der Hölle links (German Edition)
unserer Grafikabteilung ist auch schwul. Großartiger Mann, sehr diszipliniert, sehr fähig«, nickte Richard von Winterfeld und warf einen Blick aus dem Fenster. Kurzzeitig bröckelte seine Fassade, als er sich räusperte: »Und? Hast du einen Lebensgefährten?«
»Ja, könnte man so sagen.«
»Älter als du?«, verengte Richard leicht die Augen. »Hör mal, lass dich nicht benutzen.«
»Nein, er ist ein Jahr jünger als ich.« Andreas glaubte, in den falschen Film geraten zu sein. »Sascha. Er heißt Sascha. Von nebenan.«
»Sieh an. Was Ernstes?«
»Ich denke schon.«
»Verstehe. Und? Was macht … Sascha so? Arbeitet er?«
Andreas schluckte. »Nein, er studiert.« Er wollte fragen, worauf sein Vater hinauswollte, aber er schaffte es nicht. Da war eine Barriere, die er unmöglich überspringen konnte.
Die Miene von Richard hellte sich auf. »Hervorragend. Was denn? Nicht zufällig BWL oder etwas in der Richtung?«
»Nein, Psychologie.«
»Oh, auch eine gute Wahl. Ein Job mit Zukunft, habe ich mir sagen lassen.« Es klang unehrlich.
Und Andreas begriff. Es brauchte nicht die schlecht verborgene Enttäuschung seines Vaters, um ihn wissen zu lassen, dass sich nichts geändert hatte. Wichtig war, was aus der Firma wurde. Er konnte sich leibhaftig vorstellen, was im Kopf seines Vaters vor sich gegangen war.
Lebensgefährte? Sehr schön. Studiert? Noch besser. Ein hoffnungsvoller junger Mann, der an Andreas’ Stelle in den Konzern eintreten konnte. Darum ging es. Darum war es immer gegangen. Richard von Winterfeld interessierte nicht, ob er eine Schwiegertochter oder einen Schwiegersohn bekam. Er wollte jemanden, der eines Tages das Familienunternehmen führen konnte. Zu dumm, dass Sascha einen anderen Weg eingeschlagen hatte.
»Habe ich auch gehört«, sagte Andreas schneidend, bevor er mit einem unehrlichen Lächeln hinzufügte: »Und? Wie geht es der Firma so?«
Sein Vater besaß den Anstand, verlegen zu sein. Trotzdem antwortete er beflissen: »Sehr gut, würde ich sagen. Die Arbeit mit deinem Großvater ist eine Herausforderung, aber es funktioniert. Natürlich fehlt deine Mutter überall. Allerdings wird sie beruhigt sein, wenn sie sich die Quartalszahlen ansieht. Wir sind nach der Eurokrise auf dem aufsteigenden Ast.«
»Na schau an.« Mehr wusste Andreas nicht zu sagen. Der Konzern interessierte ihn nicht. Er wünschte seiner Mutter, dass sie es ihrerseits schaffte, sich mindestens ein halbes Jahr lang nicht darum zu scheren.
»Ja, es geht uns gut. Möchtest du vielleicht mit mir ins Labor? Unsere Mitarbeiter experimentieren an unserem neuen Schokoladenpudding. Feinste Kakaobohnen, Fair Trade . Ich habe das früher immer für überzogenen Unsinn gehalten, aber wir müssen wirklich umdenken.«
»Nein danke. Ich denke, ich mache mich auf den Weg. Mein Hund ist allein zu Hause, und er hat sich noch nicht richtig daran gewöhnt.«
Innerlich leistete Andreas Abbitte, weil er Triton bei jeder Gelegenheit als Vorwand vorschob. An diesen praktischen Aspekt der Tierhaltung hatte er gar nicht gedacht.
Richard nickte. »Gut, mach das. Ich muss mich eh noch mit dem Betriebsrat herumschlagen. Was die immer für Vorstellungen haben …«
»Na, dann viel Spaß.«
Andreas erhob sich. Ihm kam der seltsame Gedanke, seinem Vater zum Abschied die Hand zu geben; nicht als versöhnliche Geste, sondern weil es passte. Ihr Gespräch war unpersönlich genug verlaufen. Er ließ es bleiben.
Taub in Brust- und Bauchgegend wandte er sich zur Tür. Er hatte es geschafft. Er hatte sich geoutet. Und doch fühlte er sich seltsam entgleist. Entweder er bekam jeden Augenblick die heftigste Panikattacke seit Langem oder die Leichtigkeit der Offenheit würde einsetzen.
Es brauchte die acht oder neun Schritte bis zur Tür, um sich bewusst zu machen, dass Andreas nicht zufrieden war. Die Nicht-Reaktion seines Vaters nagte an ihm. Sie war auf schwer zu beschreibende Weise erniedrigend. Die Hand bereits auf der Klinke fasste Andreas sich ein Herz und drehte sich noch einmal um. Die Enttäuschung stand ihm ins Gesicht geschrieben, als er allzu laut fragte: »Es interessiert dich einfach nicht, oder? Schwul oder nicht, wen kümmert es?«
»Wie bitte?« Richard von Winterfeld sah von seinem Monitor auf.
Andreas trat in die Mitte des Raumes. Ihm war auf einmal nach Konfrontation zumute. »Weißt du, andere Väter hätten irgendwie reagiert. Wären sauer geworden oder so. Oder hätten gesagt, dass es okay ist. Irgendetwas. Aber du,
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