Nach der Hölle links (German Edition)
schon wieder viel zu schnell unterwegs. Du kennst dich.
»Es tut mir leid, was er über Andreas gesagt hat«, wurde Sascha in seiner Selbsthypnose unterbrochen. Eine Hand legte sich auf seine Schulter, sodass er erschrocken herumfuhr. Gott, er hatte gar nicht bemerkt, dass Svenja im Raum geblieben war. Sie machte ein zutiefst betroffenes Gesicht.
»Was tust du hier?«, gab Sascha rau zurück. »Solltest du nicht bei Nils sein und … keine Ahnung …«
»Ihn trösten?« Sie zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht. Ja, gleich.« Svenja zögerte. Sascha hatte sie selten so unsicher gesehen. »Weißt du, ich dachte immer, dass du gut für ihn bist. Und ich habe ihm immer gesagt, dass er am Ball bleiben soll. Nur jetzt … es fühlt sich an, als ob ich besser die Klappe gehalten hätte. Du wirst mit Nils Schluss machen, oder?«
Sascha antwortete nicht sofort. Erst nach langem Schweigen flüsterte er: »Ich will nicht. Ich wollte, dass es funktioniert. Aber ich glaube nicht, dass es klappen wird. Und zwar nicht wegen Andreas, sondern weil …«
»Weil du das hier nie wolltest?«
»Ja.« Sascha war verwirrt. Sprach nun sein wahres Selbst aus ihm oder der verletzte Mann, der seinerseits verletzen wollte?
Svenja schürzte die Lippen. »Ich kenne Nils. Ich weiß, wie gut er auf die Tränendrüse drücken kann. Klar, er ist auch ziemlich einnehmend. Aber das hättest du dir echt früher überlegen sollen.«
»Ich habe es mir auch noch gar nicht überlegt«, wehrte Sascha sich matt. »Ich … vielleicht sehe ich es morgen ganz anders, nur wenn er dermaßen gegen Andreas schießt, das kann ich nicht haben. Ich …«
Der Tumult in seinem Inneren gewann mit jedem Wort an Kraft. Warum wurde von ihm erwartet, dass er tausendundeine Entscheidung fällte? Mit Nils Schluss machen oder nicht. Oh ja, wollte er. Gerade in dieser Sekunde wollte er mit ihm Schluss machen, ihm eine reinhauen und ihn nie wiedersehen. Aber morgen sah die Welt wahrscheinlich anders aus.
Und überhaupt: Was interessierte ihn Nils? Es ging um Andreas. Darum, dass er sich nicht gefreut hatte, Sascha zu sehen. Darum, dass seine Augen leer geblieben waren, während Sascha vor Freude am liebsten auf die Knie gegangen wäre. Darum, dass er sich tausend Mal erträumt hatte, wie es sein würde, Andreas vor sich zu haben, sein Gesicht zu berühren und ihm zu sagen, dass er ihn verzweifelt gesucht hatte.
»Ich kann es doch nicht ändern«, brach es aus Sascha hervor. »Ich vermisse ihn halt so. Ich kann ihn nicht vergessen. Ich kann einfach nicht anders.«
Es sprach für Svenja, dass sie trotz ihrer Freundschaft zu Nils nicht ging. Sie blieb bei Sascha, zog ihn zum Bett, wo sie ihn umarmte und weinen ließ, wie er seit Jahr und Tag nicht geweint hatte. Denn Nils hatte ihm vor Augen geführt, was Sascha im Grunde seines Herzens immer gewusst hatte: Andreas hätte ihn finden können und keinen Wert darauf gelegt.
Kapitel 10
Seit zwei Stunden starrte Sascha auf den Monitor seines Laptops und surfte durch das Internet. Rief Seiten und Programme auf. Prüfte seine E-Mails. Wartete auf eine Rückmeldung auf EBay . Sah sich den Wetterbericht an – für Hamburg und für Kroatien, weil ihm gerade danach war. Klickte sich durch die Boulevardpresse. Rümpfte die Nase über Prominente, die in kastenförmigen Ballkleidern über den roten Teppich schwebten. Es war anscheinend in Mode, sich in Kleinbusse zu kleiden. Fand sich erbärmlich, da er sich nicht zu schade war, sich von den Untiefen des bürgerlichen Voyeurismus gefangen nehmen zu lassen.
Er hatte die morgendliche Vorlesung geschwänzt und gedachte auch die Veranstaltungen am Nachmittag ausfallen zu lassen. Nach einer halb durchwachten, halb von schweißtreibenden Chaos-Träumen verunstalteten Nacht brauchte er einen freien Tag, um in sich aufzuräumen und sich darüber klar zu werden, wie er zukünftig mit Nils umgehen wollte.
Sascha lächelte schwach angesichts der Fotos, die Katja neu auf ihre Website geladen hatte. Seine kleine Schwester war gar nicht mehr so klein. Vor ein paar Wochen war er nach Hause gefahren, um an ihrem Abi-Ball teilzunehmen. Das bunte Äußere ihrer rebellischen Jahre war verschwunden. Stattdessen hatte sie ein Faible für Naturtöne entwickelt. Ihr honigblondes Haar fiel ihr in Wellen auf die Schultern, als sie ihn nun vom Piccadilly Circus aus angrinste.
Seit einer Woche war sie in London, feierte mit zwei Freundinnen ihren Schulabschluss und versetzte ihre Mutter in Angst und
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