Nach der Hölle links (German Edition)
Schrecken. Schließlich wusste man, was jungen alleinreisenden Frauen im Urlaub zustoßen konnte. Die Zeitungen waren voll davon. Dennoch hatte sie Katja ziehen lassen.
Es war Saschas Vorschlag gewesen, ihr einen dicken Zuschuss zum Ersparten zu geben, sie in ein teures Hotel einzubuchen und sie zu verpflichten, sich einmal am Tag zu melden. Damit hatte ihre Mutter leben können, auch wenn der Vater angesichts der horrenden Kosten gestöhnt hatte.
Katja belohnte ihre Familie, indem sie tagtäglich Fotos aus London und Umgebung ins Internet lud. Als sie die ersten Bilder von ihrem Hotel – dem St. Petersburg – online stellte, war Sascha vor Lachen beinahe vom Stuhl gefallen. Katja wirkte reichlich verloren in der eleganten Lobby; umgeben von geschäftig-höflichem Hotelpersonal und Gästen, die – nach Kleidung und Schmuck zu urteilen – zur Oberschicht gehörten. Wenigstens konnte seine Mutter sich nun sicher sein, dass ihre Tochter ein ordentliches Frühstück bekam und kein Ungeziefer im Bett vorfand.
Sascha seufzte und schloss den Browser. Es wurde Zeit, dass er sich in Bewegung setzte. Den ganzen Morgen lang verdrängte er die Aufgabe, die vor ihm lag. Seit gestern war er sich sicher, dass kein Weg daran vorbeiging. Er hatte es wirklich versucht, doch das änderte nichts am desaströsen Ergebnis. Nils war verletzt und stocksauer, Sascha unglücklich, Svenja spielte Notfallkrankenschwester für schwule Jungs und an Andreas durfte er gar nicht erst denken.
Sascha hasste die Situation und seine Dummheit. Er hatte gespürt, dass Nils und er bessere Freunde als Partner waren. Er hatte diese Verbindung nie gewollt, sich aber am Ende verpflichtet gefühlt, sich darauf einzulassen. Wenn man auf regelmäßiger Basis mit einem Freund ins Bett ging, musste man einkalkulieren, dass sich einer von beiden verliebte. Nun verstand Sascha, woher die Regel stammte, dass gute Freunde Freunde bleiben sollten – und Affären Affären.
Missgelaunt zerrte er am Bund seiner Hose. Schon viel zu lange hatte er sich die Zügel aus der Hand nehmen lassen. Viel zu lange war er mit dem Strom geschwommen, ohne darauf zu achten, dass das Wasser stank. Er war gut darin gewesen, sich die Nase zuzuhalten.
Es schmerzte ihn, Nils wehzutun. Ja, Saschas Freund hatte sich wie die Axt im Wald aufgeführt. Er hatte sich eine Menge Mühe gegeben, eine Beziehung zu etablieren, gegen die Sascha sich lange und wortreich gewehrt hatte. Nur war es nicht Nils’ Schuld, dass sie sich letztendlich doch nicht miteinander wohlfühlten.
Mit trauriger Miene legte Sascha seinen Laptop schlafen und verbarg das Gesicht in den Händen, um sich zu sammeln. Etwas in ihm setzte sich zur Wehr und beschwor Bilder aus guten Tagen herauf. Er sah Nils und sich auf dem Fußboden im Flur sitzen und reden, während um sie herum die Party tobte. Ins Kino gehen und ihr Popcorn teilen. Sie tobten zusammen durch ihren Lieblingsklub. Tanzten. Tranken. Lachten.
Letzteres war ihnen schon vor Wochen verloren gegangen. Wann hatten sie zum letzten Mal zusammen vor dem Fernseher gesessen und gelacht? Es war ewig her. Sie hatten ihre Freundschaft gegen etwas anderes eingetauscht; etwas, das angeblich besser sein sollte und es am Ende nicht gewesen war.
Hatte Nils es nie gespürt? War er glücklich mit der Situation gewesen? Wohl kaum. Sonst wäre er nicht dermaßen in die Luft gegangen. Sonst hätte er nie diese Dinge gesagt.
Sie waren Vollidioten. Alle beide.
Sascha atmete hörbar aus, bevor er flüsterte: »Mach schon, Suhrkamp. Beweg deinen Hintern und bring es zu Ende.«
Seine Worte schwebten kurzatmig durch das Zimmer und wollten sich aus dem Fenster flüchten. Verschwinden, damit er ihrer Bedeutung nicht Folge leisten musste.
Er erhob sich. Die Welt drohte für eine Sekunde an Stofflichkeit zu verlieren, als Sascha die Zimmertür öffnete. Halb erwartete er ein unheilschwangeres Knarren, aber es blieb natürlich still. Warum fiel es ihm so schwer, nach drüben zu gehen und ein vernünftiges Gespräch mit Nils zu suchen?
Weil sich die Geschichte wiederholt, du Rindvieh, nörgelte sein Gewissen.
Nils ist aber nicht Andreas, ermahnte Sascha sich, bevor er sich selbst einen mentalen Tritt versetzte und zum Zimmer seines Beinahe-Ex-Freundes ging. Es faszinierte ihn, wie lang ein Flur sein konnte, wenn man sich übergeben musste und das Bad endlos weit fort schien, und wie kurz, wenn man eine unangenehme Angelegenheit zu erledigen hatte.
Er klopfte genau an die Stelle
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