Nach der Hölle links (German Edition)
wäre es gar nicht passiert. Ich war so weit gekommen, und nun hat er alles durcheinander geworfen.«
»Das macht dich wütend?«
»Ja! Natürlich macht mich das wütend.«
»Weil er Einfluss auf dein Leben genommen hat oder weil sein Besuch überhaupt eine Wirkung auf dich hatte?«
»Wie bitte?«
Köninger schlug die Beine übereinander und legte seinen Notizblock weg. »Macht es dich wütend, dass Sascha aufgetaucht ist oder eher, dass er aufgetaucht ist und du diese Woche Schwierigkeiten hast, deinem Programm zu folgen? Nimmst du es ihm übel, dass du diese Woche nicht ins Tierheim kannst?«
Darüber musste Andreas nachdenken.
»Ich weiß es nicht. Ich könnte ihn an die Wand klatschen, weil er mich durcheinandergebracht hat, aber vor allen Dingen … Ich sollte weit genug sein, um nicht so stark zu reagieren, oder? Was soll das denn? Ich habe so hart gearbeitet und auf einmal kommt jemand wie er daher und haut alles zu Brei. Ich verstehe nicht, warum er so verdammt rücksichtslos sein musste. Und warum ich nicht stärker bin.«
»Das heißt, neben allem anderen bist du vor allen Dingen ein weiteres Mal von dir selbst enttäuscht. Ganz unabhängig von Sascha bist du enttäuscht, weil du nicht arbeiten gehen kannst und dich nicht unter Kontrolle hattest. Du bist sicherlich unzufrieden, weil du deinem Ex-Freund zu viel von dir preisgegeben hast. Aber vor allem anderen bist du enttäuscht, weil du ein Mensch bist, der auf schwierige Situationen sehr stark reagiert.«
Andreas schwieg und schob sich tiefer in den Sessel. Nach einer Weile sagte er kleinlaut: »Ja, und jetzt kommt wieder die Stelle, an der Sie mir sagen, dass nicht Sascha das eigentliche Problem ist, sondern mein Selbstwertgefühl, richtig?«
»Nein, nicht direkt«, lächelte Köninger freundlich. Er faltete die Hände auf dem Schoß, bevor er fortfuhr: »Aber auf Dauer wäre es schön, wenn du deine Menschlichkeit besser annehmen könntest. Du bist nur ein Mensch, Andreas. Du machst Fehler, du leidest, du hast Gefühle. Starke Gefühle beeinträchtigen dich – und zwar sicherlich mehr als andere Leute. Aber es ist nicht schlimm, auf eine so extreme Begegnung auch extrem zu reagieren. Vielleicht solltest du versuchen, das Positive in dieser Situation zu sehen.«
»Ich sehe hier nicht viel Positives.«
»Das ist mir schon klar. Nur: Was ist am Ende passiert? Du hattest eine Auseinandersetzung und warst starken Emotionen ausgesetzt. Unter anderem auch solchen, über die wir noch nicht gesprochen haben. Stell dir vor, es ist ein neuer Parcours ins Spiel gekommen, den es zu überwinden gilt. Deinen Alltag meisterst du sehr gut. Nun können wir sehen, wie du dich hältst, wenn du unter emotionalem Stress stehst.«
»Ich muss mich aber nicht bei Sascha bedanken, weil er sich als Parcours zur Verfügung stellt, oder?«, entgegnete Andreas matt.
Köninger lachte. »Nein, so weit würde ich auch nicht gehen.«
Die Worte des Therapeuten schwirrten Andreas im Kopf herum, als er eine Dreiviertelstunde später in seine Straße einbog. Ganz unrecht hatte Köninger nicht. Er brauchte sich in diesen Tagen wahrlich keinen Tapferkeitsorden an die Brust zu pappen, aber immerhin. Die aufmunternden Worte Köningers bestärkten Andreas. Der Therapeut hatte darauf bestanden, genau zu beleuchten, was diese Woche gut geklappt hatte; nicht das, was in die Hose gegangen war. Er hatte Andreas für seinen Großeinkauf gelobt – für die Ausführung und besonders dafür, dass er sich dazu gezwungen hatte. Dass er sich gesagt hatte: »Hey, wenn sonst schon nichts funktioniert, dann räume ich wenigstens die Bude auf und mache den Vorratsschrank richtig voll.«
Köninger hatte das ein gesundes, positives Verhalten genannt. Andreas kam sich weder gesund noch besonders positiv in seinem Denken vor.
»Morgen mache ich noch frei. Und ab Montag geht es wieder in die Vollen«, sagte er sich streng. Auch das hatte Köninger ihm vorgeschlagen. Er sollte sich ganz offiziell freinehmen und am Wochenende prüfen, ob er aus der Wohnung kam. Keine Gewaltprogramme, aber ein wenig spazieren gehen und sehen, wohin der Wind ihn trieb.
Als er sich seinem Zuhause näherte, sah er schon von Weitem die Werbeprospekte aus dem Briefkasten ragen. Flyer zum Wochenende, dazu die übliche Mischung aus Pizzadiensten, China-Imbissen und Anbietern deutscher Küche. Wer bitte brauchte noch Speisekarten aus Papier, wenn jeder halbwegs vernünftige Lieferdienst sein Angebot im Internet
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