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Nach der Hölle links (German Edition)

Nach der Hölle links (German Edition)

Titel: Nach der Hölle links (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raik Thorstad
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präsentierte? Glücklicherweise war der Mülleimer nicht fern.
    In Gedanken noch bei der Therapiesitzung entnahm Andreas die Post. Grob wühlte er sich durch die Prospekte, fand eine Abrechnung, die im falschen Briefkasten gelandet war, dazu ein Rundschreiben an die Mieter. Und einen großformatigen Brief, auf dem lediglich sein Name stand. Keine Briefmarke, keine Adresse. Nur »Andreas«.
    Er kannte die Schrift. Sie war ihm vertraut aus der Zeit, in der Sascha bei ihm Hausaufgaben gemacht hatte. Andreas taumelte unter einem unsichtbaren Faustschlag. Unwillkürlich lehnte er sich gegen die Wand und starrte auf das gewölbte Kuvert.
    Erschüttert wog er den Umschlag und kam zu dem Schluss, dass er weit mehr als ein Blatt Papier enthalten musste. Sein Verstand registrierte dieses Detail, aber Andreas selbst kam nicht hinterher. Wie betäubt nahm er den Wust aus Werbung und stopfte den fehlgeleiteten Brief ins richtige Fach. Die Haustür aufzuschließen wurde zur Geduldsprobe. Seine Finger schienen gefühllos; wie eingefroren. In ihm juckten hundert Fragen und der Drang, den unverschämt in sein Leben gedrängten Brief im Flur fallen zu lassen.
    Während Andreas Stufe für Stufe den Weg nach oben fand, raste es in seinem Kopf. Mit jedem Treppenabsatz änderten sich seine Empfindungen. Kalter Hass, Wut, Enttäuschung, Amüsement, Schmerz, ungläubiges Kopfschütteln, Ärger, uraltes Leid.
    Was dachte Sascha sich eigentlich? Die Episode zwischen ihnen gehörte der Vergangenheit an. Dass Köninger Grund sah, dennoch daran zu arbeiten, verstand Andreas gerade noch. Aber Sascha? Was sollte das? Andreas wollte doch nur zur Ruhe kommen dürfen. War das zu viel verlangt?
    Oben angekommen entschied Andreas, dass er in erster Linie sauer war. Er kam sich verarscht vor, um es auf den Punkt zu bringen. Zwei Mal hatte er Sascha klargemacht, dass er ihn nicht sehen wollte. Die Telefonnummer war ihm dennoch angeboten worden. Und nun hielt Sascha sich zwar an die Auflage, bombardierte ihn aber mit Post.
    Ungehalten lief Andreas in die Küche und warf den Brief zusammen mit der Werbung in den Mülleimer. Es gab nichts, was er von Sascha hören wollte. Gar nichts.
    Anschließend mixte er sich einen Drink aus Naturjoghurt und Erdbeeren, die matschig zu werden drohten. Er ging dabei brutaler vor, als die Zutaten verdienten, weshalb sich ein rotes Tupfengemälde auf seinem Fliesenspiegel niederließ.
    Dass Andreas sich mit dem Mixbecher auf die Terrasse setzte, war reiner Trotz. Das Wetter war nicht dazu geschaffen, im Freien zu sein. Zwar hielt sich der Regen zurück, aber kalte Windböen peitschten von Westen her über die Stadt. Die Wimpel mit dem Hamburgwappen am Gebäude gegenüber knallten lautstark gegen das Gemäuer. Andreas’ Haare machten sich selbstständig und fegten ihm ins Gesicht.
    Der Brief im Mülleimer strahlte radioaktive Energie ab, die sich durch die Wände und den Stoff der Hängematte in sein Bewusstsein fraß. Weder ein Schutzschild in Form einer Zeitschrift noch der Versuch, eine Runde zu schlafen, hielt die elende Überraschungspost davon ab, unablässig Andreas’ Namen zu flüstern. Als es ihm zu bunt wurde, ließ er die frische Luft frische Luft sein und verzog sich an den Computer.
    Eine Alienzucht gierte, auf die Menschheit losgelassen zu werden, und Abenteuer in etlichen Fantasy-Welten gab es auch zu bestehen. Dragon Age wollte er noch einmal von vorn spielen – alle Teile, alle Add-ons, alle Downloads. Heute war der perfekte Tag, um einen solchen Plan in die Tat umzusetzen.
    Grimmig installierte Andreas die Spiele, zog die Patches aus dem Web und stürzte kopfüber in die virtuelle Welt. Konzentriert entwarf er sein Alter Ego und arbeitete sich durch die ersten Aufträge.
    Jeder Winkel wollte erforscht, jeder Karte erkundet werden. Kein Fass, keine Truhe durfte ungeöffnet bleiben. Alles war besser, als sich von der lockenden Stimme des Kuverts ablenken zu lassen.
    Als der Abend in die Nacht überging und an die Scheiben schlagender Platzregen die Wohnung in eine gemütliche Höhle verwandelte, bröckelte der Schutzwall, den die virtuelle Fantasy-Welt ihm gewährt hatte. Seine Augen schmerzten vom langen Starren auf den Monitor, und sein Nacken fühlte sich wie rohes Fleisch an.
    Andreas’ Mund war trocken. Er hatte es vermieden, öfter als zwingend nötig aufzustehen. Die Cola auf der Fensterbank war schon lange leer. Der Becher, der seinen Drink enthalten hatte, lockte die ersten Fliegen an. Zeit, das

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