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Nach der Hölle links (German Edition)

Nach der Hölle links (German Edition)

Titel: Nach der Hölle links (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raik Thorstad
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Depots, die eine Mutter antrieben, wenn ihr Kind in Gefahr war, oder einen Mann, wenn seine Ehefrau ihn brauchte, öffneten sich.
    Andreas’ Sicht nahm an Schärfe zu. Er konnte Saschas Gesicht überdeutlich erkennen. Jede Wimper, jede Pore, jede Unreinheit in der Haut. Ein Barthaar, das nicht richtig entfernt worden war, eine raue Stelle auf seiner Oberlippe. Ein Schatten, eine Wölbung, wo vor drei Jahren noch ein weiches Jungengesicht gewesen war.
    Noch eifriger als seine Augen arbeitete jedoch Andreas’ Tastsinn, der aus Saschas Berührung Kraft zog. Wie ein Vampir schien er sich an den Fingern um seine Unterarme zu laben, wenn auch ohne Energie zu entziehen.
    Und dann war er soweit. Ebenso unerwartet, wie er geglaubt hatte, die Klinik nicht betreten zu können, war es vorbei. Plötzlich wusste er, dass er für seine Mutter alles schaffen konnte, was nötig war. Hinterher konnte er zusammenbrechen.
    »Lass uns gehen.«

Kapitel 19
    Es war nur ein Gang; ein Korridor mit verputzten Wänden und hellgrauen Linoleumfliesen, die die Spuren von eilig geschobenen Bahren und Rollstühlen zeigten. Ein Ort, der um der Effektivität willen entstanden war. Die einzigen Farbkleckse bildeten bunte Wegweiser, die auf dem Boden in die verschiedenen Abteilungen zeigten, und die roten Feuermelder.
    Für Andreas war es der Vorhof zur Hölle. Allein der Gestank diverser Reiniger und Desinfektionsmittel ließ ihn keine Sekunde vergessen, wo er war. Die Geräusche, die Hektik, die blassen Angehörigen, die zu geschäftigen Krankenschwestern, die Ärzte, die von einem Raum zum nächsten hetzten.
    Surreal. Als würde er eine Krankenhaus-Serie verfolgen, die nichts, aber auch gar nichts mit seinem Leben zu tun hatte. Nur der Plastikstuhl, auf dem er kauerte, zwickte ihn in den Rücken und hielt ihn in der Realität fest.
    Seine Wahrnehmung war zu einem Tunnel zusammengeschrumpft, durch den das grelle Licht der Neonröhren sich einem Laser gleich in seinen Verstand brannte. Sein Bewusstsein verdampfte. Er schauderte nicht und zitterte auch nicht mehr. Nur das Bedürfnis, das Krankenhaus und mit ihm die Ereignisse der letzten Stunden hinter sich zu lassen, war geblieben.
    Warum er nicht rannte? Weil er nicht durfte – und weil er nicht konnte. Weil er nicht sicher war, ob er noch wusste, wie man einen Fuß vor den anderen setzte.
    Andreas’ Hinterkopf lehnte an der Wand. Seine Lider waren halb zugefallen, aber er sah mehr als genug. Drei Mal hatte der behandelnde Arzt mit ihm gesprochen – nach der ersten Untersuchung, nachdem die Aufnahmen gemacht worden waren und bevor die Operation begann.
    Von den Erklärungen des Mediziners hatte er nicht einmal die Hälfte verstanden. Klar war nur, dass seine Mutter operiert werden musste. Ihr Sturz hatte ihr keine läppische Gehirnerschütterung eingebracht, sondern gleich einen Schädelbasisbruch. Als er kurz zu ihr durfte, war ihr durchsichtige Flüssigkeit aus der Nase geronnen; versetzt mit Blut. Seine Mutter war ihm gläsern vorgekommen, zerstörbar und viel zu klein für die weite Ebene des Krankenhausbetts.
    Der Schädelbasisbruch an sich war nicht das größte Problem. Aber aus der linken Augenhöhle waren Knochenfragmente abgesplittert, bedrohten den Augapfel und im schlimmsten Fall das Gehirn. Das gebrochene Handgelenk war dagegen kaum erwähnenswert.
    Von möglichen Komplikationen war die Rede gewesen und vom schlechten Allgemeinzustand seiner Mutter, der ein Risiko für die OP darstellte. Man hatte ihm erklärt, dass Einblutungen ins Gehirn oder eine Hirnschwellung zu befürchten waren, ebenso wie mögliche Infektionen. Ob er wisse, welche Medikamente sie nahm und an welchen Vorerkrankungen und Allergien sie litt. Was es mit ihrem geringen Körpergewicht auf sich hätte.
    Andreas hatte keine Antworten gehabt; auch nicht zum Unfallhergang. Er wusste nur, dass seine Mutter in einem nahen Operationssaal lag und die Chirurgen an ihrem Schädel arbeiteten.
    Andreas hatte Angst. Von allen Seiten drängten die finstersten Szenarien auf ihn ein und erinnerten ihn an seine eigene Schwäche. Er betete, dass sein Vater rechtzeitig eintreffen würde. In seinen vor Schmutz starrenden Arbeitsschuhen und der fleckigen Jeans fühlte er sich im Krankenhaus fehl am Platz. Doch die Vorstellung, nach Hause zu fahren, und sich umzuziehen, war absurd.
    »Hier.« Vor seiner Nase tauchte eine Flasche auf. Braune Flüssigkeit, die gegen durchsichtigen Kunststoff schwappte. »Versuch was zu trinken. Zucker

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