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Nach der Hölle links (German Edition)

Nach der Hölle links (German Edition)

Titel: Nach der Hölle links (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raik Thorstad
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Seite los zum Parkplatz. Ein Kleinwagen wartete dort schief vor der Einfahrt auf sie; in offensichtlicher Eile schlampig eingeparkt.
    Sie waren bereits im Auto und auf der Zubringerstraße – Sascha ließ den Motor aufheulen und fuhr viel zu schnell –, als Andreas heiser fragte: »Was ist passiert? Und was machst du … ich meine, wie geht es ihr?«
    »Ich weiß es nicht«, antwortete Sascha knapp. »Ich weiß nur, dass wir bei Tanja auf der Terrasse saßen, als der Krankenwagen kam. Sie ist gestürzt und war nicht bei Bewusstsein. Zum Glück hat die Haushaltsfee mir gesagt, in welche Klinik sie gebracht wird.«
    »Und woher wusstest du, wo ich bin?«, fragte Andreas’ Mund automatisch weiter, weil ihm nichts anderes einfiel, was er tun konnte. Nervös fummelte er an der Hosentasche, fand darin seinen Schlüssel, aber kein Handy. Kein Wunder, er hatte es in diesen Tagen kaum bei sich.
    »Du hast es mir selbst gesagt, vor ein paar Wochen. Dass du im Tierheim Praktikum machst. Sag mal, musst du Wichser da vorne unbedingt wie eine Schnecke fahren?«, bellte Sascha, bevor er Gas gab und verbotenerweise zum Überholen ansetzte.
    Andreas empfand nichts und gleichzeitig alles, als er von der Beschleunigung in den Beifahrersitz gedrückt wurde. Der Verstand ließ ihn wissen, dass seine Mutter ernsthaft verletzt sein musste. Wegen eines gebrochenen Beins fuhr Sascha nicht wie ein Henker. Es wirkte fast, als fürchte er, dass sie zu spät kommen könnten.
    Die Stadt schien sich während ihrer Fahrt auszudehnen und an ihnen vorbeizuwachsen. Jede Ampelphase wurde zur Ewigkeit. Vertraute Straßenzüge wurden lang und länger, während Sascha sie bis auf ein paar deftige Flüche auf andere Verkehrsteilnehmer schweigend zur Klinik fuhr.
    Stumm kauerte Andreas auf seinem Sitz und biss sich in rascher Folge in die Daumenwurzel. Die leisen Stiche hielten ihn in der Realität fest, während etwas in ihm versuchte, ihn zum Aufwachen zu bewegen und Dinge raunte wie »Wird schon nicht so schlimm sein« und »Pass mal auf, gleich hat sie zwei verstauchte Finger«.
    Als sie das Klinikum erreichten, hatten sie unverhofft Glück und fanden einen Parkplatz nahe dem Eingang. Ein Schatten aus der Vergangenheit näherte sich Andreas. Sie waren schon mal hier gewesen, Sascha und er. Unter anderen Umständen und in einem anderen Fachbereich, aber hier hatte ihr einziges »Date« außerhalb seines Zimmers stattgefunden. Sein Gedächtnis spuckte diese Information selbstständig aus, obwohl Andreas andere Sorgen hatte.
    Ohne ein Wort sprangen sie zusammen aus dem Wagen. Andreas kam nicht einmal auf den Gedanken, Sascha zu sagen, dass er jetzt fahren könne oder nicht mitkommen sollte. Alles, was ihn interessierte, war seine Mutter, die sich irgendwo in diesem beängstigenden Gebäude befand und von der er nicht wusste, wie es ihr ging. Was, wenn die Verletzungen so schwer waren, dass … Was, wenn sie gar nicht erst …?
    Direkt vor der gläsernen Flügeltür bremste Andreas unwillkürlich ab. Sein Puls ging viel zu schnell, und der Kreislauf sackte kommentarlos auf Knietiefe. Für einen Atemzug wurde ihm schwarz vor Augen, und er kämpfte um sein Gleichgewicht. Sein Sichtfeld verschwamm.
    Sascha kam seinerseits schlitternd zum Stehen und drehte sich zu ihm um. Ein Blick, dann fragte er: »Was ist los?«
    »Ich kann da nicht reingehen«, wisperte Andreas, dessen Welt sich auf einmal in einem Zustand fortgeschrittenen Verfalls befand. Es fühlte sich an, als löse sich vor seinen Augen die Leinwand der Realität auf, Pigment für Pigment. Hier ein Stück vom Rinnstein, dort ein Aufkleber an der Eingangstür, unter ihm der weiße Pfeil auf dem Asphalt.
    Er konnte die Klinik nicht betreten, zum Tresen gehen und sich nach seiner Mutter erkundigen. Noch weniger konnte er mit den Ärzten reden und ein erwartungsgemäß besorgter Sohn sein.
    Andreas’ Unterarme wurden umfasst. Er spürte, dass ihm jemand ganz nah kam. So nah, dass er sich daran festhalten konnte. Automatisch griff er seinerseits um Saschas Handgelenke. Sie waren warm und stabil.
    »Du kannst«, sagte Sascha fest und ließ Andreas dabei nicht aus den Augen. »Du kannst das. Und du musst es nicht allein schaffen. Ich komme mit, und ich bleibe bei dir, solange es dauert. Du. Bist. Nicht. Allein.«
    Die Magie der wohl gewählten Worte vermengte sich in Andreas mit den urtümlichen Instinkten, die im Namen der Arterhaltung alle verborgenen Kraftreserven eines Menschen entfesselten. Die

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