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Nach der Hölle links (German Edition)

Nach der Hölle links (German Edition)

Titel: Nach der Hölle links (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raik Thorstad
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er keine Freunde hatte. Die Stunde wäre anders, ganz anders verlaufen, wenn Sascha noch in seinem Leben gewesen wäre. Er hätte sagen können: »Mein Ex-Freund ist immer noch da und steht mir als Kumpel zur Seite.« Das hätte weit besser geklungen als »Ich habe und will keine Freunde«.
    Und dann dieser grauenhafte Abend, an dem Andreas sich vielleicht zum ersten Mal der Tragweite seiner Krankheit bewusst wurde. Ihrer Ursachen, ihrer Konsequenzen für sein weiteres Leben, die Kraft und Zeit, die er aufwenden musste, damit es ihm besser ging. Er hatte fürchterlich die Nerven verloren. Es war wie ein Flugzeugabsturz gewesen. Vorher war ihm bewusst gewesen, dass er schwamm und strampeln musste, um an der Wasseroberfläche zu bleiben. Doch an diesem Tag erweiterte sich sein Fokus, und er begriff, dass er in einem Ozean trieb. Allein, fern von jeder Insel, jedem Rettungsring und jeder Hilfe.
    Andreas hatte verkraftet, dass er allein durch seine Therapien gegangen war. Aber er zweifelte, dass er jemals seinen Frieden damit schließen würde, dass Sascha da gewesen wäre, wenn seine Eltern nur den Mund aufgemacht hätten. Wenn Andreas sich vorstellte, wie gut es ihm getan hätte, ihn zu sehen und sich an ihn zu klammern, war ihm jedes Mal nach Heulen zumute.
    Genau deshalb wollte er jetzt nicht darüber nachdenken. Es gab im Tierheim genug feuchte Hundeaugen, da brauchte er sich ihnen nicht anschließen.
    Triton war ihm am ersten Tag nach seiner unfreiwilligen Pause eine große Hilfe gewesen. Die Fahrt mit Bahn und Bus hatte ihm das Äußerste abverlangt. Aber als Andreas im Tierheim ankam und als Erstes zu Triton ging, war der Aufwand fast vergessen. Der Kuvasz gebärdete sich wie ein Irrer, sprang in seinem Zwinger hoch und fraß Andreas vor lauter Begeisterung fast auf, als er zu ihm hinein ging. Er warf ihm die Pfoten auf die Brust, leckte ihm über das Gesicht, fiepte, winselte und lief vor lauter Begeisterung aus. Für diese Dosis Hundeliebe hatten sich die Mühen gelohnt.
    »Und nun zu den Katzenklos im Ruheraum«, erklärte Andreas Pascha, der sich zwei Schritte weiter auf einem Sessel aalte. Es war ein Bild für die Götter.
    Andreas lächelte schwach und zog das Gummiband in seinen Haaren zurecht, als hinter ihm die Tür aufging und seine Kollegin Melli zu ihm herein stürzte. »Hier bist du. Wir suchen dich schon überall. Du, da ist ein Typ, der sagt, dass er dich sofort sprechen muss. Irgendetwas mit deiner Mutter.«
    Andreas fuhr zusammen. Das Haarband glitt ihm aus den Fingern und fiel zu Boden.
    »Was?«, stammelte er, während er das Eis nahender Panik über die Gliedmaßen streichen spürte.
    »Kommst du?«, drängte Melli ihn. »Es scheint eilig zu sein.«
    Andreas würgte trocken, aber er nickte und rannte los. Zwei Türen, ein enger Flur, dann erreichte er den Innenhof des Tierheims. Und neben dem Haupteingang stand, nervös von einem Fuß auf den anderen tretend, Sascha.
    Im ersten Augenblick bremste Andreas zornig ab. Die einzige logische Erklärung schien, dass Sascha sich mit einer List Zugang zu ihm verschafft hatte. Aber er kannte Sascha. Andreas wusste, wie er aussah, wenn er aufgeregt war. Und aus unerfindlichen Gründen war er sich ebenfalls sicher, dass Sascha sich ihm nicht mit einer so niederträchtigen Methode nähern würde.
    Andreas hatte seine Gedanken weder zu Ende gebracht noch die Füße wieder in Bewegung gesetzt, als Sascha ihn erspähte. Er zögerte keine Sekunde, sondern kam ihm entgegen. »Du musst sofort mitkommen. Deine Mutter hatte einen Unfall. Sie wird gerade in die Uniklinik gebracht. Ich fahre dich hin.«
    In Andreas gab es zwei widersprüchliche Impulse. Der eine wollte sofort plausible Erklärungen. Der andere kümmerte sich nicht, warum ausgerechnet Sascha in dieser Situation auftauchte. Andreas wollte zu seiner Mutter. Nichts, was zwischen ihnen vorgefallen war, konnte etwas daran ändern.
    Der Teil seines Unterbewusstseins, der die Agoraphobie steuerte, blieb stumm. Das Adrenalin, das durch seine Adern zu schießen begann, überschrieb mit der realen Angst um seine Mutter Andreas’ irrationale Angststörung.
    »Wie … ich muss …« Er deutete auf das Hauptgebäude mit dem Büro hinter sich, doch Sascha schüttelte wild den Kopf.
    »Habe ich denen gerade schon gesagt. Komm. Komm! «
    Die Sorge in Saschas Stimme gellte in Andreas’ Ohren wider und ließ ihn handeln. Der instinktgetriebene Steinzeitmensch in ihm stellte keine Fragen, sondern raste an Saschas

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