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Nach der Hölle links (German Edition)

Nach der Hölle links (German Edition)

Titel: Nach der Hölle links (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raik Thorstad
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und Koffein. Du wirst es brauchen.«
    Mechanisch öffnete Andreas den Verschluss, setzte die Flasche an und schluckte ein, zwei Mal. Das Schäumen der Kohlensäure fühlte sich an wie eine Invasion. Sein Mund war viel zu trocken. Fühlte es sich so an, wenn man sich aus der Wirklichkeit ausklinkte und in Katatonie fiel?
    Andreas konnte sich keinen Zusammenbruch leisten – und auch kein Schweigen. Er musste warten, bis sein Vater hier war. Eventuell konnte er dann … Ja, was? Gehen? So tun, als ob nichts geschehen war?
    Seine Mutter lag gerade in Narkose und wurde am Kopf operiert. Das konnte er nicht vergessen. Auch dann nicht, wenn ein Teil von ihm sich hässlich fragte: »Würde sie hier sitzen und warten, wenn es anders herum wäre? Wenn du auf dem OP-Tisch an all die gruseligen Apparate angeschlossen wärst? Wenn man dir im Gesicht herumschneiden würde?«
    Darüber konnte und wollte er sich keine Gedanken machen.
    Mama …
    Hörbar atmete Andreas aus. Er zwang sich, die Mauern um ihn her wahrzunehmen. Sie und die Gestalt, die an seiner Seite saß; die Unterarme auf die Oberschenkel gebettet. Warum war Sascha hier und tat sich das an?
    Andreas’ dunkle Augen waren matt, als er in Zeitlupe den Kopf wandte und Saschas verschränkte Hände betrachtete. Verschlungene Finger, manchmal unruhig zuckend. Vertraut und doch fremd. Hände, die ihn gestreichelt und gehalten hatten. Die einzigen, an die er sich erinnern konnte.
    Schwäche überkam ihn. Sie zitterte sich ihren Weg durch seine Knie und kroch als beginnende Panikattacke in den Bauch. Seine Nerven witterten die Gefahr. Sie zogen sich zusammen und ließen den Krankenhausflur noch irrealer erscheinen als zuvor.
    »Nein«, sagte er halblaut zu sich selbst. Er musste seine Stimme hören. Sonst würde er rennen und seine Mutter gnadenlos im Stich lassen.
    Sascha betrachtete ihn von der Seite. Seiner Miene war nicht zu entnehmen, was ihm durch den Kopf ging. Aber er fragte nicht, was Andreas meinte. Es gab zu viele innere Fragen, die man in einer solchen Lage mit einem lauten Nein beantworten konnte.
    Stattdessen rieb er die Handflächen über seine Oberschenkel, bevor er Andreas linkisch die Hand auf den Arm legte. »Andreas?«
    »Hm?« Er wusste, was jetzt kommen musste. Sascha lief die Zeit davon. Er konnte schließlich nicht ewig bei ihm bleiben. Auf einmal wollte Andreas ihn festhalten und betteln, schreien, toben wie ein kleines Kind, damit er nicht ging. Selbst den Teufel persönlich hätte er in dieser Situation gebeten, bei ihm zu bleiben.
    »Ich muss mal nach unten – telefonieren. Meine Tante braucht vielleicht ihr Auto wieder.« Die Worte schwebten verloren im Raum. »He, hast du mich gehört?«
    Andreas nickte kaum merklich, bevor er zu seiner eigenen Schande flüsterte: »Kommst du wieder?«
    Im selben Augenblick wollte er sich ohrfeigen – und als wäre er nicht verwirrt genug, war es ihm gleichzeitig vollkommen egal, dass er Saschas Anwesenheit als relevant empfand.
    Wichtig war nur seine Mutter. Mama .
    »Natürlich«, flüsterte es zu dicht an Andreas’ Ohr. Dann verschwand die Hand von seinem Arm und ließ einen kalten Fleck zurück.
    Minuten schienen sich zu Stunden zu verdichten, während Andreas verloren auf dem unbequemen Stuhl saß. Seine Zehen bewegten sich in einem verkrampften Spiel. Die Zeit verstrich unstet. Der Blick auf die Uhr offenbarte Zeiger, die sich viel zu langsam bewegten. Jedes Mal, wenn eine der Schwingtüren sich öffnete, blickte er auf. Doch nie hielt jemand auf ihn zu. Kein Arzt, nicht sein Vater, nicht Sascha.
    Wie lange wollten sie ihn noch allein lassen?
    Bitte keine Neuigkeiten, nicht jetzt, flehte Andreas stumm. Konnte er aufstehen? Nein, undenkbar. Ihm fiel auf, dass er schwitzte. Feuchtigkeit perlte über seinen Rücken.
    Als Sascha zurückkam, wollte Andreas sich auf die Seite fallen lassen und zusammenrollen; mit dem Kopf im Schoß des einzigen Menschen, der ihm gerade Trost spendete. Er sehnte sich danach, das Gesicht an seinen Bauch zu drücken und zu hören, dass alles wieder in Ordnung kommen würde. Dass er bald nach Hause durfte.
    »Tanja kommt her«, raunte Sascha. »Sie muss heute Abend noch Fabian zum Training fahren. Aber sie bringt Geld mit, damit wir hier wegkommen. Du hast doch bestimmt kein Portemonnaie dabei.«
    Doch, hatte er. Deutlich spürte er es in seiner Hosentasche.
    »Ich kann nicht gehen«, krächzte Andreas dünn. Er bezog sich nicht ausschließlich darauf, dass er auf das Ergebnis der

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