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Nach Diktat verblichen

Nach Diktat verblichen

Titel: Nach Diktat verblichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A. A. Fair
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Tagebuch«, gab ich zurück. »Er schrieb seine geheimsten Gedanken darin nieder. Kurz nach Ihrer Hochzeit kamen Sie dahinter und begannen Georges Tagebuch regelmäßig zu lesen. Das machte Ihnen Spaß. Besonderes Vergnügen bereitete es Ihnen, sich selbst durch seine Augen zu sehen. Es muß angenehm gewesen sein, über die Hochzeitsreise zu lesen und sich in seinen Hymnen auf Ihre Schönheit zu sonnen.«
    »Donald!« rief sie verblüfft. »Woher wissen Sie das?«
    »Nach ein, zwei Jahren Ehe«, fuhr ich fort, »verflog der Reiz des Neuen, und George entpuppte sich als sehr alltäglicher, durchschnittlicher Mensch. Dann starb Georges Großvater, und George erbte. Wenig später begann George sich merklich zu verändern. Er wurde grüblerisch und in sich selbst versponnen. Seine Selbstgerechtigkeit prägte sich immer stärker aus. Er wurde zum Fanatiker, und es war unmöglich, weiter mit ihm zusammenzuleben. Sechs Monate hielten Sie es aus, dann beschlossen Sie, sich scheiden zu lassen. Sie fürchteten, daß George einer Scheidung nicht zustimmen könnte. Ihr Temperament war mit dem Ihres Mannes unvereinbar. Sie suchten Fröhlichkeit und Abenteuer, George führte ein freudloses, strenges Leben. Es würde mich nicht überraschen, wenn Sie sich während dieser Zeit mit einem anderen Mann getröstet hätten. Vielleicht argwöhnte George das. Das hätte bei der Scheidung zu Schwierigkeiten führen können. Kurz und gut, Sie hatten das Gefühl, sich auf irgendeine Art schützen zu müssen, und nahmen deshalb Georges Tagebuch mit, als Sie ihn verließen — jenes, das die Aufzeichnungen aus der Zeit vor dem Tod des Großvaters enthielt.«
    Ihr Gesicht war bleich geworden. Sie starrte mich aus aufgerissenen Augen an.
    »Donald«, stammelte sie, »wer — wer in aller Welt hat Ihnen das alles erzählt?«
    »Niemand«, versetzte ich. »Ich habe es mir selbst zusammengereimt. In Georges Tagebuch stand alles über die Ereignisse vor dem Tod seines Großvaters und die Gedanken, die ihn nach dem Tod des alten Mannes bewegten. Die Aufzeichnungen reichten etwa bis zum Herbst des Jahres, dann brachen sie ab. Das konnte nur eines bedeuten: George hatte das Tagebuch nicht mehr in Besitz. Sie ließen sich ungefähr sechs Monate nach dem Tod des Großvaters in Reno scheiden. Man braucht kein Superdetektiv zu sein, um zwei und zwei zusammenzuzählen und zu begreifen, daß Sie das Tagebuch mitnahmen, als Sie George verließen.«
    »Aber woher wissen Sie das alles, Donald?«
    »Wenn ich an einem Fall arbeite, weiß ich immer gern, was los ist.«
    »Aber die Polizei ist doch gegen Sie, Donald. Ich meine, man würde Sie doch kaum ins Vertrauen ziehen.«
    »Das ist auch nicht nötig.«
    Sie runzelte die Stirn und starrte gedankenverloren in ihr Glas.
    »George verlor sein Tagebuch sechs Monate nach dem Tod seines Großvaters«, meinte ich. »Ich bin ziemlich sicher, daß er es nie wiedergesehen hat. Und doch wurde es in seiner Wohnung gefunden. Wie gelangte es dorthin?«
    »Ja, wie?«
    »Darauf gibt es nur eine Antwort«, versetzte ich. »Sie brachten es hin.«
    »Ich?«
    »Ganz recht.«
    »Donald, Sie haben den Verstand verloren. Sie... Warum sollte ich das Tagebuch in die Wohnung gebracht haben?«
    »Weil Sie sich von George nicht weiter Ihr Leben verpfuschen lassen wollten«, antwortete ich. »Sie wollten, daß die Polizei das Tagebuch findet. Sie wußten, daß jemand die Wohnung durchsuchen würde. Deshalb brachten Sie das Tagebuch zurück.«
    »Nicht die Polizei«, widersprach sie. »Sie sollten das Tagebuch finden.«
    »Warum?«
    »Weil ich es müde war, mich ständig von ihm herumkommandieren zu lassen. Ich bin schließlich kein naives kleines Mädchen. Ich weiß, was ich will, und ich habe das Recht, mein eigenes Leben zu führen. Ich war verheiratet, ich weiß, was Ehe bedeutet. Es gibt keinen Grund auf der Welt, weshalb ich mein Leben nach den Launen und fixen Ideen eines geschiedenen Mannes einrichten sollte, der sich zum Weltverbesserer berufen fühlte.«
    »Warum haben Sie ihn dann nicht einfach hinausgeworfen?« fragte ich. »Warum sagten Sie ihm das nicht ins Gesicht?«
    Sie malte Kreise auf die Tischdecke. »Er hat mir Geld gegeben«, erwiderte sie.
    »Warum?«
    »Er hatte ein schlechtes Gewissen. Er war mein Mann gewesen. Er hatte gelobt, mich zu lieben und in Ehren zu halten und so weiter und so fort.«
    Ich sah sie durchdringend an.
    »War da nicht auch ein bißchen Erpressung dabei?«
    »Nein, Donald, bestimmt nicht. Er

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