Nach dir die Sintflut
Flugzeug. Vor dem Terminal holte er tief Luft. Frische Luft füllte seine Lungen. Das Gefühl sagte ihm zu, aber er wusste, er konnte nicht bleiben. Er ging ins Terminal zurück und studierte die Abflugtafel. Er hatte Lust zu reisen, wollte aber nirgendwo ankommen. Er kaufte einen Flug nach Vancouver, British Columbia, weil es sich um die längste Inlandsstrecke von allen handelte.
Sobald er wieder in der Luft war, legte Lewis den Kopf ans Fenster und lauschte dem Summen der Motoren. Das monotone Geräusch beruhigte ihn. Während des Fluges gab es keine besonderen Zwischenfälle, bis Lewis auf halber Strecke unvermittelt aufsprang und zur Toilettenkabine stürzte. Er wollte nicht pinkeln. Er wollte allein sein. Lewis schloss sich in der
winzigen Kabine ein und ließ Wasser in das Stahlbecken laufen. Nachdem er mehrere Minuten lang in die rechte obere Ecke des Spiegels gestarrt und jeden Blickkontakt mit sich selbst vermieden hatte, erregte eine winzige Bewegung seine Aufmerksamkeit.
Lewis senkte den Blick und entdeckte eine Miniaturausgabe seiner Frau, die durch das Waschbecken schwamm. Sie trug einen grünen Badeanzug und war auf ein Achtundneunzigstel ihrer normalen Größe geschrumpft. Sie war bis ins letzte Detail vollkommen - das schwarze Haar, das Lächeln in ihren Augen, ihre Armbewegung beim Brustschwimmen, das immer ihre Lieblingsdisziplin gewesen war.
Lewis drückte sich die Handballen gegen die Augen, bis er meinte zu fallen. »Hör mal«, sagte er, wobei er sich ganz bewusst an niemand im Besonderen richtete, »ich weiß, dass ich ein Arschloch bin. Ich bin immer eins gewesen. Aber ich will mich ändern. Ehrlich.« Er ließ die Hände sinken und öffnete die Augen, und als er ins Waschbecken schaute, war sie weg.
Lewis kehrte auf seinen Platz zurück. Um 0:55 Uhr - technisch betrachtet war es bereits Freitag, der 20. August - kam Lewis in Vancouver an. Er verließ das Flughafengebäude nicht. Er starrte auf die Abflugtafel des Vancouver International Airport. Der nächste Inlandsflug ging nach Winnipeg, Manitoba. Lewis kaufte sich ein Ticket.
Um 6:37 Uhr erreichte er Winnipeg, auch wenn seine Armbanduhr die Zeit mit 8:37 Uhr angab. Lewis marschierte an Familienzusammenführungen vorbei, blieb auch am Gepäckband nicht stehen und ging direkt nach draußen. Auf dem Gehsteig schloss er die Augen und lauschte. Winnipeg fühlte sich erstarrt an, so als hätte man der Stadt den Strom abgestellt, und das gab ihm ein Gefühl der Sicherheit. Er hatte weder Freunde noch Verwandte in Winnipeg. Er war noch nie in der Stadt gewesen.
Er hatte keinen Grund, hier zu sein. Lewis beschloss zu bleiben und stieg in das nächstbeste Taxi.
»Bringen Sie mich zum besten Hotel der Stadt«, sagte er, dann lehnte er sich zwischen die Vordersitze, bis er dem Fahrer ins Gesicht sehen konnte. »Nein. Bringen Sie mich zum alten Hotel. Zu dem Hotel, das früher das beste war. Mir ist nach Heruntergekommenheit.« Der Fahrer nickte und brachte Lewis kurzerhand zum Fort Garry.
Mit seinem steilen Mansardendach, den Türmchen und Dachgauben erinnerte das Fort Garry an ein Barockschloss. Vor dem Eingang stand ein Portier mit langem rotem Mantel. Geschmackvoll gekleidete Paare schlenderten ein und aus. Lewis war überrascht, mitten in der kanadischen Steppe auf einen solchen Tummelplatz kosmopolitischer Eleganz zu stoßen. Als der Portier ihm die Tür aufhielt, beschloss Lewis, für immer hierzubleiben.
Er spielte mit dem Gedanken, sich unter Pseudonym anzumelden - als S. Isyphos vielleicht, oder als Dr. F. Aust. Aber letztendlich bezog er die Kronprinzensuite unter seinem richtigen Namen. Die Angestellte, die ihn hinaufgeführt hatte, war zögerlich im Wohnzimmer der Suite stehen geblieben. Sie musterte Lewis. Als sie sicher war, ihn erkannt zu haben, nickte sie andächtig.
»Sind Sie es wirklich?«, fragte sie mit glänzenden Augen.
Lewis antwortete nicht sofort. Er zog die Augenbrauen auf unfreiwillig komische Art hoch und griff in die Innentasche seines Sakkos. Der Angestellten konnte wahrlich nicht entgehen, wie prall gefüllt der Umschlag war. Lewis zog einen Hundertdollarschein heraus. Er zögerte, griff nach einem zweiten.
»Das war einmal«, sagte Lewis. Er hielt die Geldscheine in die Höhe. Die Angestellte nickte. Nachdem sie beide Scheine
eingesteckt hatte, las Lewis das Namensschild, das sie über dem Herzen trug.
»Beth, ich brauche einen Haarschnitt.«
»Ich werde einen Termin bei unserem Friseur für Sie
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