Nach dir die Sintflut
genau an den Stadtplan. Er war kaum nach links in die Corydon Street abgebogen, als der Müllsack riss. Der Riss wurde mit jedem Schritt länger. Als er das Happy-Cat-Waschcenter erreichte, trug Lewis den Sack wie einen verwundeten Hund auf beiden Armen.
Lewis verteilte die neu gekauften Kleider auf zwei Waschmaschinen. Der Waschvorgang dauerte siebenundzwanzig Minuten,
danach verteilte Lewis die Sachen auf zwei Trockner. Als sie getrocknet waren, legte er sie in die Waschmaschinen zurück. Er war gerade dabei, die Kleidungsstücke zum dritten Mal von der Waschmaschine zum Trockner zu schleppen, als eine Frau den Waschsalon betrat. Sie war von faszinierender Hässlichkeit. Ihr braunes, ungewaschenes Haar hing ihr bis über die Schultern und war ein bisschen zu lang für ihr Gesicht. Sie hatte einen gebeugten Gang. Sie setzte nicht einen Fuß vor den anderen, sondern schob ihre Schuhe über den Boden wie Skier. Sie hatte keine Kurven, war aber viel zu kräftig, um als schlank durchzugehen. Ihr Mund stand offen. Der Senffleck über ihrer rechten Brustwarze war so genau platziert, dass man ihn kaum für unabsichtlich halten konnte. Lewis konnte sich nicht von ihrem Anblick losreißen.
Er beobachtete sie, während er vorgab, in den Fernseher in der Ecke zu starren. Die Frau belud eine Waschmaschine und vertiefte sich dann in ein Klatschmagazin. Als sie ihre Kleider aus dem Trockner geholt hatte und dabei war, die unzähligen, ehemals weißen Baumwollschlüpfer zu falten, hob sie plötzlich den Kopf, sah Lewis ins Gesicht und machte einen Schritt auf ihn zu.
»Weißt du, wer ich bin?«, fragte sie, eine Unterhose in der linken Hand.
»Äh … nein.«
»Ich bin Gott.«
Die Frau hörte nicht auf, ihm in die Augen zu starren. Ihr Tonfall verriet nicht einen Hauch von Ironie oder Sarkasmus. Sein Bauchgefühl riet Lewis, seinen Blick abzuwenden und den Waschsalon sofort zu verlassen, aber er konnte nicht.
»Tatsächlich?«, fragte er.
»Als Inkarnation.«
»Dann hätte ich wirklich eine Frage an dich.«
»Frag, was immer du willst, aber vorher musst du mir etwas verraten. Warum wäschst du deine Kleider immer wieder?«
Lewis antwortete nicht sofort, obwohl ihm klar war, dass das zwanghafte Waschen mit Lisa zusammenhing. Vor drei oder vier Jahren hatte sie eine Reihe von Landschaftsbildern gemalt. Vielleicht ihre besten Bilder überhaupt, und fraglos die kommerziellsten. Die Gemälde zeigten eine Meeresansicht, eine dünne sandfarbene Linie am unteren Bildrand, an die sich eine akribisch angelegte Aneinanderreihung der verschiedensten dunkler werdenden Blautöne anschloss.
Und dann hatte sie die Bilder mit einem klebrigen Lack überzogen und unter das geöffnete Fenster gestellt. Als sie drei Tage später zurückkam, waren die Bilder mit Staub und Schmutz überzogen, der die subtilen Blaustufen verdeckte.
»Warum hast du das getan?«, fragte Lewis. Es war ihm nie gelungen, etwas so Schönes zu erschaffen, deswegen ärgerte ihn die Vorstellung, dass Lisa es mutwillig zerstört hatte.
»Weil ich die Schnauze voll habe von neuen Sachen«, antwortete Lisa. »Von Sachen, die neu aussehen. Du nicht?«
Lewis hob den Blick vom Waschsalonboden und sah der Frau in die Augen, was ihm zu seiner eigenen Überraschung nicht schwerfiel. »Weil ich die Schnauze voll habe von neuen Sachen. Ich möchte, dass meine Sachen alt aussehen und sich alt anfühlen.«
»Warum?«
»Nein, jetzt bin ich dran.«
Die Frau biss sich auf die Unterlippe und nickte.
»Eine große Frage«, sagte Lewis.
»Ich warte.«
»Warum passiert guten Menschen etwas Schlechtes?«
»Weil eine gute Geschichte dabei rauskommt.«
Darauf fiel Lewis nichts ein. Weder hatte er mit der Antwort
gerechnet noch mit dem Tempo, in dem sie vorgebracht wurde. »Das ist … grausam«, sagte er schließlich.
»Versuch, es dir aus der Sicht eines Toten vorzustellen. Am Ende bleibt dir von deinem Leben nicht mehr als deine Geschichte. Wie zufrieden wärst du, würde man dir ein Happy End anbieten? Du würdest nach etwas Dramatischem verlangen! Nach Intrigen! Du würdest dich nach dem Gefühl sehnen, gekämpft zu haben und gereift zu sein, selbst wenn du am Ende verloren hättest.«
»Dann stellt der Tod ein gutes Ende dar?«
»Funktioniert immer«, sagte die Frau. Sie drehte sich um und ging zu ihrer Wäsche zurück. Vorsichtig legte sie die letzte Unterhose zusammen. Sie klemmte sich den Wäschekorb unter den Arm und wandte sich zum Gehen. Sie warf einen Blick über
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