Nach dir die Sintflut
die Schulter, und ihre Blicke trafen sich.
»Pass auf dich auf«, sagte sie.
»Oh. Ja, mach ich.«
Der Trockner summte. Lewis zog seine Oberhemden heraus und legte sie wieder in die Waschmaschine.
Am selben Abend saß Lewis um kurz nach neun mit einem sehr sauberen Hemd und einer sehr sauberen Hose im »Palmengarten« des Fort Garry. Obwohl er die Hotelbar zum ersten Mal besuchte, hatte er sich schon in den Ort verliebt. Es gefiel ihm, dass alle Kellner mittleren Alters waren und weiße Hemden und schwarze Westen trugen. Er mochte die akkuraten Bügelfalten in ihren schwarzen Hosen. Er mochte den Anblick der Drinks, die mit Fruchtspießchen und auf einer mit dem Hotellogo bedruckten Serviette gereicht wurden. Seine tiefste Zuneigung jedoch galt dem Barpianisten.
Der schwarze Stutzflügel stand mitten im Raum. Daran saß ein grauhaariger Mann mit extrem langen Fingern. Spielte er
hohe Noten, lehnte sich sein ganzer Körper nach rechts, und er richtete sich auf, sobald die Melodie ihn auf die Mitte der Tastatur zurückführte. Lewis lehnte sich unwillkürlich mit dem Pianisten von rechts nach links. Am Schluss einer recht tremololastigen Darbietung von The Girl from Ipanema setzte sich die Frau aus dem Waschsalon an Lewis’ Tisch.
Lewis nickte.
»Man käme nie darauf, dass dein Hemd neu ist«, sagte sie. »Die stumpfe Farbe, der schlaffe Kragen … es sieht aus, als hättest du es seit Ewigkeiten.«
»Psst«, sagte Lewis, legte sich einen Finger an die Lippen und zeigte auf den Pianisten.
Die Frau hatte sich neben ihn gesetzt, nicht auf den freien Platz gegenüber, und gemeinsam schauten sie dem Pianisten bei der Arbeit zu. Sie unterhielten sich nicht. Zwischen den Stücken bestellten sie Getränke, ansonsten lauschten sie schweigend. Lewis empfand das Schweigen als überaus angenehm. Um halb eins beendete der Pianist das letzte Set. Um 0:31 Uhr spürte Lewis die Hand der Frau auf seiner. Er hielt still, und um 0:45 verließen sie die Bar zusammen, immer noch ohne ein Wort.
Als sie in der Kronprinzensuite angekommen waren, ging Lewis zur Minibar. Er schaute auf seine Schuhe hinunter, die Abdrücke auf dem frisch gesaugten Teppichboden hinterlassen hatten. Er nahm eine winzige Ginflasche aus dem Kühlschrank, schüttelte sie und kam zurück. Er drehte die Flasche auf und stellte sie vor der Frau auf den Sofatisch.
»Bitte sehr, ein trockener Martini«, sagte er und setzte sich neben sie.
»Bist du verheiratet?«
Lewis hatte gerade angefangen, mit der Hand durch ihr Haar zu fahren, aber jetzt hielt er inne. Er starrte auf seine linke
Hand, auf den Ringfinger, an dem immer noch sein Ehering steckte. »Ach, mach dir darüber keine Gedanken«, sagte er. »Sie ist tot.«
»Habe ich dir die Stimmung verdorben?«
»Ein bisschen.«
»Ist es vor Kurzem passiert?«
»Solltest du das nicht wissen?«
»So funktioniert es nicht.«
»Wie denn?«
»Erzähl mir, wie sie gestorben ist.«
»Ach, weißt du«, sagte Lewis. Er stand auf, überquerte wieder den Teppich und öffnete die Minibar. Er steckte den Kopf hinein und sagte: »Ich konnte ihren Puls nicht finden.«
Am Morgen von Lisas Tod hatte Lewis beschlossen, sie ausschlafen zu lassen. Er holte sich die Zeitung, kochte Kaffee und genoss die Ereignislosigkeit des Tages. Neunzig Minuten später ging er wieder die Treppe hinauf, um sie zu wecken. Aber sie wachte nicht auf. Lewis stand über sie gebeugt und zählte bis fünfzehn, bevor er sie schüttelte. Er suchte nach ihrem Puls, konnte aber keinen fühlen. Ihre Haut war kalt.
Lewis ging wieder hinunter in die Küche und las den Wirtschaftsteil. Den las er normalerweise nie. Die Meldungen von Fusionen, feindlichen Übernahmen und Investitionen kamen ihm wie Geheiminformationen vor, wie Codes aus einer fremden Welt, in die ihn niemand eingeladen hatte. Er fing an, die alphabetisch geordnete Auflistung der Aktienkurse zu studieren. Als er bei G angekommen war, ließ er die Zeitung sinken und ging wieder nach oben.
In seinen Gedanken probte er die Unterhaltung, die er mit ihr führen würde. Du wirst es nicht glauben, dachte er und stellte sich Lisa vor, wie sie die Arme über den Kopf reckt, ich
habe gedacht, du wärst tot. Mit einem beschämten Lächeln öffnete Lewis die Schlafzimmertür, aber Lisa lag immer noch im Bett. Er tastete nach ihrem Puls. Er konnte ihn immer noch nicht finden. Er saß auf der Bettkante und beobachtete, wie das Tageslicht langsam den Raum erhellte. Er fühlte noch einmal, dann
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