Nach dir die Sintflut
lässt du sie in Ruhe.«
»Das kann ich nicht.«
»Verrate mir eins - willst du hin, um sie zu retten? Oder willst du herausfinden, warum sie uns verlassen hat?«
»Könnte es nicht ein bisschen von beidem sein?«
»Für dich vielleicht.«
»Dann wirst du mir also helfen?«
»Aby, hast du jemals Luft geatmet?«
»Nein.«
»Bist auf deinen Beinen gegangen?«
»Nein.«
»Hast versucht, als Mensch durchzugehen?«
»Nein.«
»Du wirst es nicht schaffen.«
»Doch, mit deiner Hilfe.«
»Nein, nicht einmal dann.«
»Dann werde ich es ohne deine Hilfe schaffen«, sagte Aby. Sie sah ihn an.
»Wahrscheinlich hast du recht.«
»Dann wirst du mir also helfen?«
Pabbi stieß einen langen Wasserstrahl durch die Kiemen aus. »So gut ich kann«, sagte er.
Er ließ Aby am Tisch allein und schwamm ans Bücherregal. Er zog ein Buch heraus, das anders war als alle Bücher, die Aby jemals gesehen hatte. Er legte es auf den Küchentisch. Er wartete, bis Aby ihm über die Schulter sah, dann klappte er es auf. Das Buch sah wie ein Atlas aus, aber es beinhaltete keine Karten der ozeanischen Strömungen. Aby begriff, dass sie eine Landkarte vor sich hatten. Pabbi blätterte um, bis er die rosa eingefärbte Zeichnung eines großen Landes gefunden hatte. Er tippte mit dem Daumen auf Halifax. Er zog seinen Daumen über die
Seite, bis er bei Morris, Manitoba, angekommen war. Selbst auf der Karte wirkte die Distanz riesig.
»Du wirst Tage brauchen«, sagte Pabbi.
»Na und?«
»Eine ganze Woche vielleicht.«
»Okay.«
»Und das nur, falls es dir gelingt, ein Auto zu stehlen.«
»Was ist ein Auto?«, fragte Aby.
Pabbi klappte die Kiemen auf und seufzte einen Strudel aus.
Man muss wissen, dass die Entwässerung für gläubige Aquatiker eine Sünde darstellt. Im Zentrum der aquatischen Religion steht der Glaube an Finnyfir , die Große Flut. In dieser Hinsicht gleicht der Aquatismus dem Juden- und dem Christentum, es gibt jedoch einen bedeutenden Unterschied: Während letztgenannte Religionen davon ausgehen, Gott habe mit der Sintflut einen Neuanfang machen wollen, glauben die Aquatiker, er bevorzuge ganz einfach das Wasser.
Den aquatischen Überlieferungen zufolge befand Gott das Land für mangelhaft. Er fand die Berge zu zackig, die Wüsten zu trocken und die Fjorde zu protzig. Er war unzufrieden damit, dass die von ihm erschaffenen Landkreaturen nichts Besseres im Sinn hatten, als sich ständig zu bekriegen. Das Einzige, was Gott an seiner Schöpfung noch gefiel, war das Wasser. Er liebte die Seen, die Flüsse und die Meere. Er liebte die Art des Wassers, sich zu bewegen. Er liebte die Farben, in denen es schillerte, und die Geräusche, die es machte. Gott liebte die Wasserbewohner, und besonders stolz war er darauf, dass Wasser sowohl fest als auch flüssig oder gasförmig in Erscheinung treten kann.
Deswegen beschloss Gott nach einiger Zeit, es für vierzig Tage und Nächte regnen zu lassen und die ganze Erde mit
Wasser zu bedecken. Dabei kam natürlich ein großer Teil der Landbewohner ums Leben. Aber während der Wasserpegel stieg, entwickelten einige der Landwesen völlig neue, bislang ungeahnte Fähigkeiten. Nachdem das Wasser über alle Ufer und Gestade getreten war, nachdem es die Hausdächer und die höchsten Bäume erreicht hatte und die Kreaturen sich nicht länger mit Fingern und Krallen an diesem oder jenem Stück Treibgut festhalten konnten und untergingen, kam es auf ihre Lungen an. Als die Landbewohner das Wasser reflexhaft einsogen, entdeckten manche von ihnen, dass sie es atmen konnten. Jene Kreaturen - glauben die Aquatiker - bildeten Gottes auserwähltes Volk. Ihnen hatte Er die Fähigkeit der Wasseratmung geschenkt, alle anderen mussten sterben.
Und wie sie starben! Die Landbewohner starben milliardenfach. Die Hli∂afgo∂ hingegen siedelten sich unter Wasser an, und ihre Zivilisation erblühte. Tausende von Jahren später erlaubte Gott dem Wasser, sich zurückzuziehen und das Land freizugeben. Gott tat das nur, um die Hli∂afgo∂ auf die Probe zu stellen. Er hatte ihnen die Fähigkeit, Luft zu atmen, nie genommen, und nun wollte er wissen, welche seiner Kreaturen sich des amphibischen Geschenkes würdig erweisen würden - und welche nicht.
Gott hatte das Land für unwürdig befunden, und alle, die sich zum Land hingezogen fühlten und dorthin zurückkehrten, wären es ebenso. Aus diesem Grund hatten die Hli∂afgo∂, oder zumindest die meisten von ihnen, beschlossen, den Kontakt zu den
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