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Nach dir die Sintflut

Nach dir die Sintflut

Titel: Nach dir die Sintflut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Kaufman
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Menschen weitestgehend zu meiden. Man nannte die Menschen Si∂ri , was sich wörtlich übersetzen lässt mit »willens, in Gottes Auge zu spucken«.
    Die Aquatiker betrachten das Atmen von Luft als Sünde, wenn auch als lässliche. Im Aquatismus gibt es nur eine Sünde, die so blasphemisch ist, dass sie nicht vergeben werden kann:
mit Luft in der Lunge zu sterben. In diesem Fall, glauben die Aquatiker, kommt die verfluchte Seele niemals zur Ruhe und muss für alle Ewigkeit einsam umherziehen, entwässert und verdammt.
    Schlimmer noch, die entwässerten Seelen werden ihre Erinnerungen nicht mehr los. Sie erinnern sich an jeden einzelnen, den sie geliebt haben, und sie lieben weiter, vielleicht sogar noch stärker als zu Lebzeiten. Das Verlangen, bei den Geliebten zu sein, sie zu berühren oder mit ihnen zu reden, bleibt auf ewig unerfüllt. Im Gofdeill werden die entwässerten Toten als Sála-Glorsol-Tinn bezeichnet, was sich sinngemäß mit »verhungerte Seelen« übersetzen lässt. Und vor eben diesem Schicksal wollte Aby ihre Mutter bewahren.
    Aby hatte die Sprache auf ihrer Seite. Als sie auf die Privatschule gegangen war, hatte ihre Mutter sie gezwungen, Englisch zu lernen. Im Rückblick verstand Pabbi, dass seine Frau schon länger die Absicht gehegt haben musste zu entwässern und dass sie geplant hatte, ihre Tochter mitzunehmen. Obwohl Aby ihren schweren Akzent nie loswurde, klangen ihre Vokale rein und klar, und irgendwann beherrschte sie die Sprache.
    Viel komplizierter erschien Aby das Autofahren. Es war leicht zu verstehen, dass das rechte Pedal beschleunigte, das linke Pedal bremste und das Auto immer in die Richtung fuhr, in die man das Lenkrad drehte. Aber Aby hatte Probleme mit der Vorstellung, dass sich an Land alle Bewegungen in nur zwei Dimensionen abspielten, egal, ob man gerade ging, fuhr oder rannte. Das Konzept schien ihr unbegreiflich. Aby konnte sich erst ein ungefähres Bild machen, als Pabbi ihr erklärte, jeder Raum, den sie durchqueren werde, egal ob drinnen oder draußen, sei durch eine Decke beschränkt, die exakt so hoch sei wie sie selbst. Trotzdem geriet sie allein bei dem Gedanken in Panik.

    Mit Skepsis betrachtete Aby Pabbis Aussage, sie werde ein Auto stehlen können, indem sie die Radschächte nach Schlüsseln absuchte. Sie zweifelte die Existenz von Autos oder Radschächten nicht an, wohl aber bezweifelte sie, dass irgendjemand so verantwortungslos mit seinem Schlüssel umgehen würde. Besonders, da Aquatiker ihren Schlüsseln eine so große Bedeutung zumaßen.
    Gläubige Aquatiker, zu denen Aby sich fraglos zählte, waren überzeugt, der Verlust eines Schlüssels weise nicht nur auf eine psychische Störung hin, sondern verursache diese direkt. Seine Schlüssel zu verlieren bedeutet, seinen Verstand zu verlieren. Deswegen trug Aby ihre Schlüssel, als sie am Steuer des weißen Honda Civic saß, dicht am Körper; sie baumelten von einer Kette, die sie um den Hals trug. Während das Auto in Schlangenlinien durch die Barrington Street rollte, fasste Aby sich an die Brust und ertastete ihren Schlüsselbund durch den Stoff ihres T-Shirts. Das beruhigte sie. Sie trat das linke Pedal fest durch und griff in ihr einziges Gepäckstück, eine große Hailedertasche auf dem Beifahrersitz.
    Sie wühlte in der Tasche, bis sie ihre aquatische Bibel gefunden hatte. Aby blätterte herum, bis sie den Zettel fand, den sie sorgfältig zwischen dem Buch der Zweifel und dem Buch vom Ende versteckt hatte. Sie faltete den Zettel auf und überflog ihn, dasselbe tat sie mit der Rückseite.
    Der Zettel war beidseitig dicht beschrieben. Die Buchstaben waren winzig, die Wörter standen eng beisammen. Es handelte sich um Abys Wegbeschreibung. In dreihundertdreizehn Einzelschritten erklärte sie den Weg vom Ultramart-Parkhaus im neuschottischen Halifax bis zum Prairie Embassy Hotel in Morris, Manitoba, eine Strecke von insgesamt dreitausendvierhundertsiebenundachzig Kilometern.
    Aby atmete hörbar durch die Kiemen aus. Sie nahm den Fuß
von der Bremse. Sie bog nach rechts in die Granville Street ab; blieben noch dreihundertelf Einzelschritte.
    Die Steuerung des Autos war einfach genug, trotzdem fürchtete Aby ständig, sie könnte das Gas- mit dem Bremspedal verwechseln. An jeder Kreuzung kam sie vollständig zum Stillstand, woraufhin die Autofahrer hinter ihr wütend zu hupen anfingen. Es fiel Aby schwer, die Symbole in der Wegbeschreibung den Straßenschildern zuzuordnen. Es war ihr unmöglich, die

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