Nach dir die Sintflut
ausgebreitet. Am äußersten Rand des Flecks hing ein Tropfen. Zimmer betrat den Lagerraum und legte Rebecca eine Hand auf die Schulter. Gemeinsam starrten sie hinauf und schauten dem Tropfen beim Wachsen zu. Dann beobachteten sie, wie er sich ablöste und auf der obersten Kiste des höchsten Stapels in der letzten Reihe zerplatzte.
»Ich werde Sie jetzt allein lassen«, sagte Zimmer.
»Danke.«
Rebecca hörte, wie Zimmer sich durch den Flur entfernte. Als sie keine Schritte mehr hören konnte, fing sie an, ihre Kisten zu untersuchen, ohne dem Stapel mit dem Wasserschaden zu nahe zu kommen.
Von den mehreren Hundert Kartons in Lagerraum 207 trugen nur acht kein Etikett mit dem Namen einer Person. Sie standen übereinandergestapelt vorne rechts neben dem Eingang. Auf der obersten Kiste stand Geburtstage. Die darunter hieß Sex. Die nächsten fünf trugen jeweils die Aufschrift Ängste, Schwärme, Zukunftspläne, Körper und Kindheit. Auf der Kiste ganz unten, es war die größte in Raum 207, stand Fehlschläge.
Rebecca reckte die Arme über den Kopf und zog den obersten Karton nach vorn, bis sie unter den Boden greifen konnte. Sie ließ ihn vom Stapel rutschen und stellte ihn auf den Boden. Dann räumte Rebecca die Kisten Sex, Ängste, Schwärme, Zukunftspläne, Körper und Kindheit ab, bis der Karton mit der Aufschrift Fehlschläge frei stand. Sie packte ihn an den Ecken und kippte ihn zur Seite, so dass der Inhalt auf den Boden fiel.
Sie wühlte mit der Schuhspitze in den Gegenständen herum, bis sie einen Schlüsselbund fand. Die Schlüssel hatten Stewart gehört. Vorsichtig, beinahe zärtlich hob Rebecca sie auf und hielt sie in der Hand. Sie schloss die Augen. Sie stand an der Spüle in der Küche des Hauses, das sie mit Stewart bewohnt hatte. In der rechten Hand hielt sie einen Wasserkessel, den sie eben befüllt hatte. Sie war noch nicht angezogen. Das Telefon klingelte, und Rebecca klemmte sich den Hörer ans Ohr, ohne den Kessel abzustellen.
»Hallo?«
»Es tut mir leid.«
»Stewart?«
»Ja.«
»Wo steckst du?«
»Ist doch egal.«
»Wo steckst du?«
»Ich rufe dich von meinem Handy an.«
»Von wo?«
»Vom Badezimmer«, sagte Stewart. »Im ersten Stock.«
Rebecca drehte sich wieder zur Spüle um, um den Wasserhahn abzudrehen. Sie ging durchs Wohnzimmer und stellte sich an die Treppe. Sie machte keine Anstalten hinaufzusteigen. Den Kessel hielt sie immer noch in der Hand.
»Ich muss ausziehen«, sagte Stewart.
»Das sagst du nicht zum ersten Mal.«
»Ich muss.«
»Ich weiß.«
»Du gibst dir solche Mühe, deine wahren Gefühle vor mir zu verbergen. Weißt du, wie sich das anfühlt?«
Rebecca ging wieder in die Küche und setzte den Kessel auf den Herd. Doch anstatt die Kochplatte einzuschalten, klemmte sie sich den Hörer noch fester ans Ohr.
»Jeder einzelne deiner Fehlschläge beschäftigt dich bis heute«, sagte Stewart.
»Deine nicht?«
»Nein. Ich muss ausziehen.«
»Jetzt?«
»Könntest du für eine Weile rausgehen?«, fragte Stewart.
»Okay«, sagte Rebecca. »Wie lange wirst du brauchen?«
»Eine Stunde.«
Rebecca verließ das Haus für fünfundvierzig Minuten. Als sie zurückkam, waren Stewarts Kleider verschwunden. Außerdem seine Zahnbürste, sein Deo und der Rasierer. Seine Schlüssel hatte er genau auf die Mitte des Küchentischs gelegt, zusätzlich hatte er sie mit einem Zettel versehen.
Rebecca saß im Wohnzimmer im Sessel, immer noch mit ihrem Mantel bekleidet, und ließ Stewarts Schlüsselbund um ihren Zeigefinger kreisen. Sie schaute zu, wie es im Zimmer immer dunkler wurde. Endlich regte sie sich, um eine Lampe einzuschalten, dann überlegte sie es sich anders und ging zur Tür. Sie fuhr zu E. Z. Self Storage, den Schlüssel fest in der Hand, ging zum Lagerraum Nummer 207 und legte den Bund in die Kiste mit der Aufschrift Fehlschläge . Nur aufgrund dieser Maßnahme, und aufgrund der Schnelligkeit, mit der Rebecca sie durchgeführt hatte, erfuhr niemand, nicht einmal Stewart, wie viel Schmerz, Kummer und Leid sein Abschied ihr bereitet hatte.
Rebecca legte den Schlüsselbund in die Fehlschläge-Kiste zurück und machte sich daran, auch die übrigen Objekte wieder einzuräumen. Als alles am richtigen Platz lag, zog Rebecca einen weißen Zettel aus der Hosentasche. Auf diesem Zettel hatte Rebecca sich die Trauerrede für ihre Schwester notiert, jene Rede, die um Rebeccas Gefühl bei Lisas Auszug kreiste und
die Rebecca verworfen hatte, weil ihr das Gefühl
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