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Nach dir die Sintflut

Nach dir die Sintflut

Titel: Nach dir die Sintflut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Kaufman
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dachte an ihre eigene Familie, als sich plötzlich ein fremdartiges Gefühl in ihrem Mund bemerkbar machte. Es saß ganz hinten auf ihrer Zunge, war aber kein Geschmack. Aby konnte es nicht einordnen. Es hatte ganz unmerklich begonnen, wurde aber schnell intensiver, und schon bald konnte
Aby an nichts anderes mehr denken. Um es zu beschreiben, fiel Aby nur ein einziges Wort ein, ein Fremdwort: trocken . Und da begriff Aby, dass sie durstig war. Unfassbar durstig. Durstiger, als sie je in ihrem Leben gewesen war. Sie fuhr los, um nach Wasser zu suchen. Ein Teich, ein Bach, eine Pfütze - egal. Mit Abys Durst wuchs auch ihre Panik.
    Sie fuhr, so schnell sie konnte. Ihr Blick fiel auf alles und jeden. Sie suchte die Gehwege nach Wasser ab, die Lücken zwischen den geparkten Autos und die Fenster im zweiten Stock. Dann, sie war kurz davor, die Nerven zu verlieren und etwas Verrücktes zu tun, entdeckte sie zwei Häuserblocks vor sich ein Schild, das sie wiedererkannte. Die weißen Buchstaben E und Z auf orangefarbigem Hintergrund. Es war dasselbe Logo wie auf dem Schlüsselbund, und da Aberystwyth wusste, dass auch die Si∂ri Wasser brauchen, fuhr sie auf den Parkplatz von E. Z. Storage.
    Aby stellte den Wagen ab und ging zur Hintertür, weil das die nächstgelegene war. Sie fing an, die Schlüssel nacheinander ins Schloss zu stecken, und der vierte passte. Der Türknauf war anders als jene, die Aby bisher gesehen hatte, und unter ihren Schwimmhäuten fühlte er sich seltsam an. Trotzdem gelang es ihr, ihn zu drehen.
    Drinnen machte Aby sich auf die Suche nach Wasser. Im Erdgeschoss wurde sie nicht fündig. Im ersten und zweiten Stock ebenfalls nicht. Aby schlich durch den dunklen Flur zur Treppe zurück und entdeckte im dritten Stock einen winzigen Raum, wo Wasser aus einem silbrigen Gegenstand tröpfelte.
    Die Tropfen verrieten Aby die Funktion des Wasserhahns. Durch Versuch und Irrtum gelang es ihr, die austretende Wassermenge zu vergrößern. Aby trank. Sie schob ihren Kopf unter den Hahn und ließ sich das Wasser direkt in den Mund laufen. Sie verstopfte den Ausguss mit Papiertüchern, die sie an der
Wand fand, und wartete, bis das Waschbecken vollgelaufen war. Dann steckte sie Kopf und Hals hinein. Ihre Kiemen klappten auf, und sie sog das Wasser ein. Sie atmete. Endlich atmete sie wieder. Ihr Durst war gelöscht, aber die Prozedur erfüllte Aberystwyth mit Heimweh. Sie floh aus dem Raum, ohne den Wasserhahn zuzudrehen.

4
    Mietlager: Rebecca (zweiter Teil)

Zehn
    Lagerraum 207
    Am Tag nach Lisas Beerdigung saß Rebecca an ihrem Arbeitsplatz im Bluttestlabor des Mount-Sinai-Krankenhauses und versuchte alles, um nicht an ihre Schwester zu denken, an die verschwommenen Gefühle, die alle Erinnerungen an Lisa umwaberten, und an die zunehmende Distanz, die sich zwischen Rebecca und diese Gefühle schob. Dass ihre Arbeit monoton war, ohne viel Raum für eigene Gedanken zu lassen, half Rebecca ungemein. Nach einer schlaflosen Nacht, während der sich immer mehr Erinnerungen als infiziert erwiesen hatten, fand sie Trost, Halt und Sicherheit darin, Routinetests an fremden Blutproben durchzuführen.
    Kurz vor zwölf klingelte das Telefon. Der Anruf kam von außerhalb und Rebecca kannte die Nummer nicht, deswegen ignorierte sie ihn. Zehn Minuten später meldete sich derselbe Anrufer noch einmal, und diesmal nahm Rebecca den Hörer ab.
    »Blutlabor.«
    »Rebecca?«
    »Ja?«
    »Hier ist Edward. Edward Zimmer.«
    »Hey. Wie geht’s?«
    »Es gab einen Unfall.«
    »Wie bitte?«
    »Vielleicht sollten wir das lieber persönlich besprechen.«

    »Bin gleich da«, sagte Rebecca. Sie legte auf, erklärte ihrem Chef per E-Mail, wie sehr der Tod ihrer Schwester sie belaste, und verließ das Labor.
    Zwanzig Minuten später stand sie vor dem Eingang von E. Z. Storage. Sie drückte ein Nikotinkaugummi aus der Packung, hielt ihr Gesicht in die Überwachungskamera und versuchte zu lächeln. Der Türöffner summte, und Rebecca trat ein. Das Büro war so sonnendurchflutet, dass sie winzige Staubpartikel in der Luft schweben sah.
    Ein brusthoher Tresen trennte den Eingangsbereich vom Büro, und hinter diesem Tresen stand Edward Zimmer. Sein Anzug war frisch gebügelt. Er ignorierte Rebecca und fuhr fort, sich Notizen auf einem dünnen gelben Schreibblock zu machen. Das Kratzen seines Füllers war das einzige Geräusch im Raum.
    »Hallo, Rebecca«, sagte er schließlich und legte den Stift beiseite. Lächelnd rückte er sich die Krawatte

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