Nach dir die Sintflut
Schritt entdeckte sie schwarzes italienisches Leder anstatt abgenutzter Arbeitsstiefel. Ihr Körper versteifte sich. Das Knurren des Hundes steigerte sich zu einem lauten, wütenden Bellen. Rebecca hörte die Kette rasseln, als der Hund auf sie zusprang. Sie hob den Kopf. Aus der Hundeschnauze hing ein Sabberfaden. Der Hund hatte die Ohren angelegt. Die Vorderpfoten drückten sich vom Boden ab, das Maul flog auf. Rebecca kniff die Augen zusammen, verschluckte unabsichtlich ihr Kaugummi, riss die Arme hoch und hielt sie sich schützend vors Gesicht.
Rebeccas Hundeangst kam von einer sehr konkreten Situation in der Vergangenheit, als sie acht Jahre alt gewesen und vom Nachbargrundstück aus angebellt worden war. Es klang nach einem Hund, aber Rebecca war sich nicht sicher. Sie hörte auf, ihrer Puppe die Haare zu kämmen, blieb still sitzen und lauschte. Der Zaun zwischen den Hinterhöfen war zwei Meter hoch, höher, als Rebecca klettern konnte. Aber genau zu jener Zeit ließen Rebeccas Eltern das Haus streichen, und die Anstreicher hatten ihre Leiter an der Hauswand stehen lassen. Sie war so lang, dass das obere Ende auf dem Zaun zu liegen käme, wenn Rebecca sie umkippte.
Rebeccas Vater hatte sowohl sie als auch Lisa ausdrücklich davor gewarnt, die Malerausrüstung anzurühren, aber da bellte es schon wieder. Rebecca war überzeugt, keinen Hund gehört zu haben - das Geräusch musste von einem Tiger kommen, vielleicht sogar von einem Wildschwein, es stammte definitiv von einem viel aufregenderen Tier als einem Hund. Rebecca musste es einfach sehen. Sie legte die Puppe beiseite und ging zur Leiter. Sie kroch hinter die untersten Sprossen. Sie stemmte
sich mit dem Rücken gegen die Hauswand und drückte. Die Leiter zu bewegen war viel einfacher als vermutet, dafür landete sie mit einem unerwartet lauten Krachen auf dem Zaun.
Rebecca schaute sich zögerlich um, aber als ihre Mutter nicht im Fenster erschien, fing sie zu klettern an. Weil das Ende der Leiter immer noch an der Hauswand stand, fiel die Steigung mäßig aus. Aber die Leiter schwankte. Zwei Mal fiel Rebecca fast herunter. Als sie oben angekommen war, riskierte sie einen Blick über den Zaun.
Der Hund entdeckte Rebecca, bevor Rebecca ihn entdecken konnte. Sie versuchte auszuweichen, aber der Hund war bereits abgesprungen. Obwohl sie den Kopf zurückriss, war es zu spät; der Hund verbiss sich in ihrer Kehle. Oder zumindest bildete Rebecca sich das ein, als sie das Gleichgewicht verlor und stürzte. In Wahrheit hatte der Hund lediglich ihr T-Shirt erwischt und den Kragen angerissen. Aber während Rebecca von der Leiter fiel - die wackelte, abrutschte und auf Rebecca landete -, hielt sie sich für tödlich verletzt. Als Rebecca im Krankenhaus aufwachte, hatte sie einen Arm in Gips und fortan eine panische Angst vor Hunden.
Obwohl Rebecca das zerrissene T-Shirt in einem der zahlreicher werdenden Schuhkartons unter ihrem Bett aufbewahrte, konnte es nicht ihre neue Hundeangst, sondern nur die Angst vor T-Bone bannen. Es stimmte, kein Mensch und kein Hund konnte ihre Angst vor T-Bone spüren, aber das half ihr bei anderen Hunden nicht weiter. Damals lernte Rebecca eine wichtige Lektion: Eingelagerte Objekte konnten lediglich die Gefühle aus einer bestimmten Situation binden.
Rebecca hielt sich die Unterarme schützend vors Gesicht und hörte das Gebiss des Hundes zuschnappen. Aber nichts passierte. Als immer noch nichts passierte, öffnete sie die Augen.
Die Kette war straff gespannt. Der Hund stand auf den Hinterbeinen, und seine Schnauze war nur Zentimeter von Rebeccas Gesicht entfernt. Er hatte säuerlichen Mundgeruch. Er bellte. Rebecca zuckte zusammen und wich zurück. Der Hund ließ sich auf alle vier Pfoten fallen, nur um sich erneut aufzurichten. Er warf sich in die Kette und fletschte die Zähne.
»Du kannst mich mal, du blöder Hund«, flüsterte Rebecca. Sie drehte sich um und ging los. Als sie vier Schritte gegangen war und der Hund immer noch bellte, drehte Rebecca sich um und schrie: »Du kannst mich mal, du blöder Hund!« Am Ende des Weges schrie sie noch einmal: »Du. Kannst. Mich. Mal. Blöder. Hund.« Als sie neben ihrem Wagen stand und die Tür schon aufgeschlossen hatte, drehte sie sich noch einmal um. »Du kannst mich mal!«, schrie sie. »Du kannst mich mal, du blöder Hund!«
Sie saß im Auto und murmelte immer noch: »Du kannst mich mal, du blöder Hund, du kannst mich mal«, als sie merkte, dass ihre Gefühle für Lisa nicht
Weitere Kostenlose Bücher