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Nach dir die Sintflut

Nach dir die Sintflut

Titel: Nach dir die Sintflut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Kaufman
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dem Wasser zu steigen.

    Der Vorgang gestaltete sich viel komplizierter, als sie vermutet hatte. Ihre Beine waren zu schwach, um eine große Hilfe zu sein, und ihre Hände fanden kaum einen Halt. Aby watete im hüfthohen Wasser dreihundert Meter stromabwärts, wo das Ufer flacher war. Sie kroch aus dem Wasser und blieb am Ufer sitzen. Sie fürchtete sich vor dem ersten Luftzug. Sie hielt das Wasser an, so lange sie konnte, dann öffnete sie ihre Kiemen und schloss sie wieder. Nach der Kontraktion spürte Aby trockene Luft in ihrer Lunge.
    Als sie neben dem weißen Honda Civic stand, fürchtete Aby, nicht wieder einsteigen zu können. Sie berührte die Macke in der Windschutzscheibe mit dem Zeigefinger. Sie war immer noch rau, fühlte sich aber fast wie eine Koralle an. Aby redete sich ein, dass die Macke harmlos wäre. Dass es in Ordnung wäre, dieses Auto zu fahren, und dass ihr Tod zwar immer noch wahrscheinlich, keinesfalls aber beschlossene Sache war.
    Aby stellte ihre langen Beine rechts und links von der Lenksäule ab. Sie drehte den Schlüssel nach links, erinnerte sich daran, dass man ihn in die andere Richtung drehen musste, und machte sich auf die Suche nach dem Highway. Nachdem sie vierzig Minuten lang wahllos abgebogen war, fand sie sich auf einer Landstraße wieder, die zu einer Auffahrt führte. Obwohl Aby sich nicht überwinden konnte, die ausgeschilderte Geschwindigkeit zu erreichen, fuhr sie stundenlang ohne jeden Zwischenfall weiter. Dann, eine Dreiviertelstunde vor Thunder Bay und achtzehn Stunden hinter Toronto, übermannte sie wieder dieser unglaubliche Durst.
    Aby verließ den Highway, als sie dicht neben der Straße eine große Zahl von Wohnwagen entdeckte, die um ein flaches, einstöckiges Gebäude herumstanden. Sie parkte den weißen Honda Civic und torkelte auf das Haus zu. Sie bewegte sich, als wäre sie betrunken, dabei war das Gegenteil der Fall.

    Aby war überzeugt, dass ihr nur noch wenige Minuten blieben, um Wasser zu finden. Sie malte sich aus, wie jede einzelne Zelle ihres Körpers vertrocknete, ihre Haut plötzlich viele Nummern zu groß wurde und sie kurz darauf zerbröselte und vom Wind über den Parkplatz getrieben wurde. Verständlich, dass Aby bei diesem Gedanken große Angst fühlte und die Glastür des Gebäudes mit voller Kraft aufstieß.
    Bis zu diesem Moment hatte Aby es tunlichst vermieden, den Si∂ri in die Quere zu kommen. Aber jetzt hatte sie keine Wahl mehr. Sie ging hinein. Während ihre Augen sich an das schummrige Licht gewöhnten, fingen ihre Kiemen nervös zu flattern an. Sie suchte nach Wasser. Sie war so sehr auf die Wassersuche konzentriert, dass ihr alles entging: die lauten Küchengeräusche, das schlagartige Innehalten im Restaurant, die entgeisterten Blicke der Gäste, zum Großteil Männer mit Baseballkappe.
    Nur drei Schritte zu ihrer Rechten entdeckte Aby Wasserflaschen, die jedoch in einem mannshohen Schrank untergebracht waren. Sie steckte eine Hand in den rechteckigen Schacht am unteren Ende der Schrankfront. Sie streckte und verdrehte ihren Arm, aber die Flaschen blieben außer Reichweite.
    Links am Schrank waren große, eckige Tasten angebracht, auf die Aby wahllos einschlug. Zunächst drückte sie jede Taste einzeln, dann versuchte sie es mit verschiedenen Kombinationen. Ihre Bemühungen blieben erfolglos, und Abys Verzweiflung wuchs. Sie ignorierte die glotzenden Si∂ri, ballte die Hand zur Faust und schlug gegen die Maschine. Keine Flasche fiel herunter. Aby schlug wieder gegen die Maschine, fester diesmal, aber alle Flaschen blieben stehen. Dann erinnerte sie sich an den kleinen Stein, der durch die Luft geflogen war und eine Macke in die Windschutzscheibe geschlagen hatte. Aby holte aus. Sie zielte. Mit aller Kraft schleuderte sie ihre Hand in
Richtung der Maschine, aber ihre Faust blieb einen Zentimeter vor der Glasscheibe stehen.
    Zunächst begriff Aby nicht, wodurch die Vorwärtsbewegung unterbrochen worden war. Die fremde Hand an ihrem Handgelenk vergrößerte ihre Verwirrung. Dass ein Si∂ri stärker war als sie, beeindruckte Aby zutiefst. Ihr Blick wanderte von der fremden Hand über einen Arm bis in das Gesicht eines Mannes. Er war kaum größer als Aby, aber viel größer als alle anderen Anwesenden. Er hatte grüne Augen, und seine Haut schimmerte grünlich.
    Ohne Abys Hand loszulassen, steckte der Mann ein paar Münzen in einen Schlitz, den Aby übersehen hatte. Er drückte auf die oberste linke Taste. Die Maschine surrte. Eine

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