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Nach dir die Sintflut

Nach dir die Sintflut

Titel: Nach dir die Sintflut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Kaufman
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weiterfahren konnte.
    Rebecca parkte vor einem Hydranten und schleppte sich mit letzter Kraft ins Haus. Sie ließ sich aufs Sofa fallen und begann zu träumen, oder sich zu erinnern, so genau wusste sie es nicht; sie sah sich neben Stewart im Bett liegen. Kurz nach dem Aufwachen mussten sie beide im selben Moment niesen, mit voller Wucht. Die Wucht war so groß, dass Rebecca ihre Persönlichkeit in Stewart hineinnieste, und Stewart die seine in Rebecca.
    Im ersten Moment bemerkte keiner von ihnen, dass etwas Ungewöhnliches passiert war. Stewart rollte sich aus dem Bett und ging ins Bad. Rebecca griff nach der Taschentuchbox auf dem Nachttisch und entdeckte, dass sie auf der falschen Bettseite lag. Normalerweise lag sie rechts, aber sie wunderte sich nicht; sie war schon öfter auf der linken Seite aufgewacht. Als sie in ihren Morgenmantel schlüpfte, fühlte er sich enger als sonst an, aber auch das beunruhigte sie nicht. Aber dann warf sie einen Blick auf ihre Hände und stellte fest, dass sie groß und männlich aussahen. Überhaupt nicht mehr wie ihre eigenen. Rebecca stand immer noch da und starrte auf die Hände, als sie den Schrei aus dem Badezimmer hörte.
    Eigentümlicherweise erkannte Rebecca ihre eigene Stimme. Sie wollte gerade nachschauen gehen, als sie sich selbst aus
dem Bad kommen sah. Daraufhin fing sie zu schreien an. Die Stimme, die sie hörte, war nicht ihre eigene, sondern die ihres Mannes.
    »Komm bloß nicht näher«, kreischte Rebecca.
    Stewart hob hilflos die Hände und bemerkte seine langen, lackierten Fingernägel.
    »Rebecca?«, fragte Stewart mit Rebeccas Stimme.
    »Stewart?«, fragte Rebecca mit Stewarts Stimme.
    Sie tauschten die Bademäntel und fragten sich, was sie als Nächstes tun sollten. Weil sie sich nach Normalität sehnten, gingen sie nach unten und frühstückten. Rebecca briet Eier. Nachdem sie gegessen und den Tisch abgeräumt hatten, schlug Rebecca vor, das Beste aus der Situation zu machen.
    »Wäre das nicht … schwul?«, fragte Stewart verunsichert.
    »Nein, eher so eine Art Selbstbefriedigung.«
    »Klingt verlockend.«
    Sie gingen nach oben ins Schlafzimmer. Es war schnell vorbei. Danach starrten sie die Decke an. Keiner von beiden war besonders erregt gewesen.
    »Es muss beim Niesen passiert sein«, sagte Rebecca.
    »Das glaube ich auch.«
    Sie gingen wieder in die Küche, wo Rebecca den Pfefferstreuer aus dem Gewürzregal nahm. Beide schnüffelten daran. Der Pfeffer brachte sie zum Niesen. Sie niesten sehr intensiv, die Schwierigkeit lag jedoch im Timing. Beim siebten Versuch gelang es ihnen, simultan zu niesen. Stewart blies seine Persönlichkeit in seinen Körper zurück, und Rebecca blies ihre Persönlichkeit in ihren Körper zurück.
    »Abgefahren«, sagte Stewart, glücklich darüber, wieder in seinem Körper zu stecken.
    »Ja«, stimmte Rebecca zu.
    Sie umarmten sich, duschten, zogen sich an und gingen zur
Arbeit. Sie taten so, als ob alles wie immer sei. Auch als sie an dem Abend nach Hause kamen, taten sie so. Aber etwas hatte sich verändert. Sie waren gezwungen, über körperliche Berührungen nachzudenken, und je mehr sie darüber nachdachten, desto weniger Lust verspürten sie darauf. Vier Tage später war jede Berührung unmöglich geworden, und vier Wochen später hatten sie sich so weit voneinander entfernt, dass Rebecca Stewart nirgendwo mehr finden konnte. Sie schaute in jedem Zimmer nach, unter dem Bett und in den Schränken, aber er war nicht mehr im Haus.

    Rebecca wurde von panischer Angst geweckt. Sie war traurig und hatte das beunruhigende Gefühl, etwas Wesentliches verloren zu haben. Sie stand vom Sofa auf und fing an, nach ihrem Schlüsselbund zu suchen, der auf dem Küchentisch lag. Sie durchsuchte ihre Handtasche und fand die Geldbörse auf Anhieb. Das beunruhigende Gefühl ließ trotzdem nicht nach.
    Rebecca stand in der Küche und atmete flach. Sie beschloss zu duschen, in der Hoffnung, sich zu beruhigen. Sie hatte das Shampoo schon in ihrem Haar verteilt, als ihr einfiel, dass sie die Uhrzeit nicht wusste. Aus Angst, zu spät zur Arbeit zu kommen, hastete sie in die Küche. Triefnass stand sie auf dem Linoleum und schaute auf die kleine Uhr in der Mikrowelle, die 5:47 anzeigte. Die Dusche lief. Rebecca setzte sich, ihre nasse Haut fand auf dem Kunststoffstuhl keinen Halt. Zwanzig Minuten später klebte sie am Stuhl fest, und da fiel ihr plötzlich ein, was sie vermisste: Sie vermisste Stewart nicht mehr.

5
    Vatn auk tími: Aby (zweiter

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