Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nach dir die Sintflut

Nach dir die Sintflut

Titel: Nach dir die Sintflut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Kaufman
Vom Netzwerk:
schweigend, bis er wieder eine Hand an seinem Ellenbogen spürte. Die Hand ließ ihn nicht los, bis er aus dem Auto ausgestiegen und eine Treppe hinaufgegangen war. Es roch nach Lilien. Lewis erinnerte sich an den riesigen Strauß, der für gewöhnlich auf dem Rezeptionstresen stand, und wusste sich im Fort Garry. Die Hand ließ los, und kurz darauf hakte sich eine Frau - er konnte Parfum riechen - bei ihm unter.
    »Beth, sind Sie es?«, fragte er, ohne zu merken, wie laut er sprach. Die Frage wurde mit einem sanften Drücken beantwortet, das er als »ja« deutete. Sie führte ihn und blieb plötzlich stehen. Lewis ertastete die Wand und merkte, dass sie vor den Aufzügen standen.

    »Sechzehnter Stock, bitte!«, rief er nur für den Fall, dass Beth es vergessen hatte.
    Als der Aufzug hielt, schüttelte Lewis Beths Hand ab und ging los. Er wusste, seine Tür war die erste auf der rechten Seite, und so streckte er eine Hand aus und bewegte sich mit winzigen Schritten vorwärts, bis er den Türrahmen ertasten konnte. Er zog die Chipkarte aus seiner Brieftasche und schaffte es nach einigen Versuchen, die Tür zu öffnen.
    Lewis brauchte eine Weile, das Schlafzimmer zu finden, denn zunächst hatte er sich ins Bad verirrt. Er bemerkte den Fehler erst, als seine Finger etwas Kühles, Glattes fühlten, das sich als Spiegel herausstellte. Lewis tastete sich am kalten Marmor des Waschtisches entlang, verließ das Bad und ging geradeaus, bis seine Knie an das große Doppelbett stießen. Er streifte Schuhe und Socken ab, schlüpfte unter die Bettdecke und zog die Knie an die Brust. Während der nächsten sechzehn Stunden bewegte er sich nicht mehr.

Vierunddreißig
    Das schlechte Geschäft
    Als Margaret zu sich kam, erkannte sie weder die Landschaft noch das Auto, in dem sie saß. Sogar ihre Tochter erkannte sie im ersten Augenblick nicht. Sie sagte nichts, schnallte sich aber ab und drehte sich zur Seite. Das Quietschen der Scheibenwischer erfüllte das Wageninnere. Nachdem sie einen Blick auf ihre Armbanduhr geworfen und festgestellt hatte, dass knapp dreizehn Stunden vergangen waren, seit sie am Küchentisch gesessen und Styrim getrunken hatte, sah sie Aby streng an.
    Aberystwyth wandte den Blick nicht von der nassen Straße ab. Sie war stark genug gewesen, einen weißen Honda Civic zu stehlen, das Land zu durchqueren und ihre Mutter zu betäuben und zu kidnappen. Sie hatte es jedoch nicht über sich gebracht, Margaret zu fesseln. Aby wusste selbst nicht, ob Schwäche oder Mitleid sie davon abgehalten hatten.
    Als sie bemerkte, dass ihre Mutter aufgewacht war, bemühte Aby sich, ihre Panik zu verbergen. Sie hatte gedacht, das Medikament würde Margaret viel länger schlafen lassen, mindestens noch vierzehn oder fünfzehn Stunden. Auf diese Weise hätte Aby es bis hinter Toronto geschafft, weit genug hoffentlich, um Margaret zu überzeugen, bis zum Meer mitzukommen. Aber nun hatten sie gerade einmal die Grenze zwischen Ontario und Manitoba hinter sich gebracht. Weil sie nicht wusste, was sie als Nächstes tun sollte, starrte Aby geradeaus. Ihre Kiemen
klappten auf und zu. Sie wusste, ihre Mutter könnte sie jeden Moment angreifen.
    Margaret wandte den Blick nicht ab. Schweigend legten sie weitere siebenundzwanzig Kilometer zurück. Dann faltete Margaret die Hände auf dem Schoß und lächelte. Sie lächelte sehr breit.
    »Hast du ans Benzin gedacht?«, fragte sie.
    »Wie bitte?«
    »Hast du dran gedacht?«
    »Mutter, du solltest mich nicht unterschätzen.«
    »Hast du ans Benzin gedacht? Dein Auto …«
    »Das ist nicht mein Auto.«
    »Autos brauchen Benzin, um zu fahren.«
    »Denkst du, das wüsste ich nicht?«
    »Nun ja, wie viel hast du noch?«
    »Der Tank ist fast voll.«
    »Ist? Oder war?«
    »War.«
    »Wie lange ist das her?«
    »Drei Stunden.«
    »Und wie lange kann man mit vollem Tank fahren?«
    »Ich habe es ausgerechnet.«
    »Wie lange?«
    »Sechseinhalb Stunden.«
    Margaret setzte sich gerade hin, wandte den Blick von ihrer Tochter ab und konzentrierte sich nicht auf die Landschaft, sondern auf die Regentropfen, die an die Windschutzscheibe klatschten.
    »Sobald dein Auto …«
    »Das ist nicht mein Auto.«
    »Sobald dein Auto kein Benzin mehr im Tank hat«, fuhr Margaret fort und starrte Aby wieder an, »werde ich aussteigen
und zum Hotel zurückgehen. Falls du mich aufhältst, werde ich boxen und treten und beißen und kratzen. Falls du mich dann immer noch nicht in Ruhe lässt, werde ich den Leuten sagen, eine

Weitere Kostenlose Bücher